Gropius to go

Gropius to go

Gropius to go
Quelle: Shutterstock/Mark Rademaker

Das Bauhaus wird 100. Anlass für eine Spurensuche abseits der im Jahresverlauf zelebrierten Festivals, Museumseröffnungen und Einzeldenkmäler. Neben mehreren Städten in Mitteldeutschland haben Wohnungsunternehmen auch in Berlin Siedlungen aus der Zeit der Moderne im Bestand, deren Grundgedanken sie im Alltag weiterentwickeln. 

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Tanztheater, Rauminstallationen, Kunstausstellungen – beim Eröffnungsfestival zum 100-jährigen Bauhaus-Jubiläum im Januar in Berlin standen zahlreiche Facetten der weltweit renommierten Schule im Vordergrund. Nur das Wohnen selbst, Aspekte des im Alltag gelebten Bauhauses, spielten eine Nebenrolle. Dabei gibt es mehrere Siedlungen direkt aus der Bauhaus- Schule oder aus ihrem Umfeld, in denen nach wie vor Mieter das berühmte Erbe täglich leben. Sie stehen in Karlsruhe, Dessau, Gera und Bad Dürrenberg genauso wie in Berlin, wohin das Bauhaus in den Monaten bis zu seiner erzwungenen Schließung gezogen war. Verwaltet werden sie zumeist von Wohnungsunternehmen oder Genossenschaften, die im Spannungsfeld von Denkmalschutz, Sanierungserfordernissen und den Wohnbedürfnissen von Bewohnern versuchen, ihr architektonisches Kulturgut weiterzuentwickeln. 

In Berlin verwaltet etwa die Deutsche Wohnen in der Siemensstadt einen von Walter Gropius selbst entworfenen Gebäuderiegel. Der Mietwohnungsbau besticht nicht nur durch seine klaren Formen und die damals als modern geltenden Grundrisse ohne Durchgangszimmer, sondern auch durch die Lösung der ungünstigen Lichtverhältnisse in Eck-Lagen: Walter Gropius sah hier einen eingeschossigen Laden vor (das Original wurde im Zweiten Weltkrieg zerstört), ein Modell, das im Nachkriegsdeutschland häufig kopiert wurde. Der Gebäudeblock steht als Teil der Siemensstadt unter dem besonderen Schutz der UNESCO, gemeinsam mit fünf weiteren Siedlungen der Moderne. 

Für die Kulturorganisation der Vereinten Nationen zählen die über das Stadtgebiet verteilten Ensembles zum Welterbe, nicht zuletzt wegen der radikalen Gedanken, aus denen sie entstanden sind: Die arbeitende, einfache Bevölkerung sollte raus aus dem Mief und dem Dunkel der Hinterhöfe mit ihren katastrophalen hygienischen Bedingungen. Zum ersten Mal rückte eine Wohnform soziale Belange in den Mittelpunkt. Allein zwischen 1924 und 1930 entstanden in Berlin so 135.000 neue Wohnungen – verglichen mit den heutigen Fertigstellungszahlen ein Turboprogramm. 

Zu den bekanntesten und bei Touristen beliebtesten Siedlungen zählt die Britzer Hufeisensiedlung von Bruno Taut, der mit Walter Gropius gut bekannt war. Auch weite Teile der Hufeisensiedlung werden von der Deutschen Wohnen verwaltet, andere Viertel wie die am Schillerpark im Wedding gehören zum Bestand der Berliner Bau- und Wohnungsgenossenschaft von 1892 eG. An allen Orten informieren Schautafeln über Geschichte und Bedeutung der Bauten, in Britz und in der Siemensstadt gibt es zusätzlich Infostationen. Außerdem können Berlin-Besucher sich die App „Gropius to go“ aufs Handy laden – und so digital geführt die Siedlungen und weitere Gropius-Objekte im Stadtgebiet erkunden. 

Bauhaus über den Speckgürtel hinaus 

Wer sich anschließend gut eineinhalb Stunden in die Regionalbahn setzt, kann in Dessau einen Gebäudeblock direkt aus der Architekturabteilung des Bauhauses besichtigen. Hannes Meyer, der Walter Gropius als Bauhaus-Direktor nachgefolgt war, entwarf Ende der 1920er-Jahre fünf Mehrfamilienhäuser mit insgesamt 90 Wohnungen als Laubenganghäuser: Die Eingangstüren mehrerer Einheiten liegen an einem gemeinsamen, offenen Gang, der zu einer Treppe führt. Bis heute sind sie baulich weitgehend im Originalzustand, sie gehören der Wohnungsgenossenschaft Dessau eG. 

Im Rahmen von Führungen der Stiftung Bauhaus Dessau können Interessierte eine Musterwohnung besichtigen, genauso wie im knapp 70 Kilometer entfernten Bad Dürrenberg. Dort hat die LEUWO AG in der „Alten Siedlung“ ein baugeschichtliches Juwel mit Laubenganghäusern im Bestand. Als Architekt wirkte Alexander Klein, der mit Walter Gropius zusammengearbeitet hatte und in Wohnungsfragen als einer der Vordenker der 1920er Jahre gilt. In Gera schließlich fügen sich Wohnsiedlungen aus der Bauhaus- Zeit in einen ganzen Kanon von Erbstücken ein: Immerhin bezeichnet sich die gut 95.000-Einwohner-Stadt als die „mit den meisten Baudenkmälern des Neuen Bauens in Thüringen“. Dort verwaltet die Geraer Baugenossenschaft Glück auf eG Gebäudeblöcke, die in den 1920er-Jahren im gedanklichen Umfeld des Bauhauses entstanden sind. 

Herausforderungen je nach Marktlage 

Angesichts des jahrelangen Schrumpfens von Gera, verbunden mit einem massiven Rückbau von Wohnungen und nach wie vor hohen Leerstandszahlen, kristallisieren sich hier die Herausforderungen im Umgang mit dem Bauerbe im Schatten von Metropolen und Attraktionen heraus. Einerseits stehen die Siedlungen unter Denkmalschutz und dürfen nur behutsam verändert werden, umreißt der Vorstandsvorsitzende Uwe Klinger das Spannungsfeld. Andererseits gelte es, so mit den Wohnungen umzugehen, dass sie sich vermarkten lassen. „Wir brauchen ein gutes Preis-Leistungs-Verhältnis“, sagt der langjährige Genossenschaftsvorsitzende, der die Denkmal-Bestände vor vier Jahren von einer Vorgängergenossenschaft übernommen hat. „Man muss sich Mühe geben, auf die heutigen Bedürfnisse von Mitgliedern einzugehen.“ 

Die Grundrisse von damals entsprechen häufig nicht mehr in jeder Hinsicht dem Zeitgeist: Zwar begrüßten Interessenten häufig, dass alle Zimmer vom Flur abgehen, beschreibt Uwe Klinger. „Aber im Sanitärbereich haben wir Herausforderungen, da sind die Bäder klein und schmal zu Gunsten einer Speisekammer.“ Insofern lotet die Genossenschaft stets aufs Neue mit den Denkmalschützern aus, welche Veränderungen im Innern möglich sind. 

Neue Zielgruppen, neue Anforderungen 

In größeren Städten kommt Unternehmen bei der Vermietung von Objekten, die nicht mehr den Ansprüchen an Größe und Zuschnitt von Wohnungen genügen, der Druck auf den Wohnungsmarkt entgegen – das ist in Berlin nicht anders als in Dresden oder Frankfurt am Main, wo auch der Vonovia- Konzern Siedlungen aus den 1920er-Jahren im Bestand hat. „Damals waren die Wohnungen für bis zu fünf Menschen konzipiert, heute ziehen Singles oder Paare ein“, sagt Vonovia-Konzernstadtplaner Siegfried Berg. Er leitet die Bereiche Städtebau und Grundstücksmanagement. 

Wegen der allgemein hohen Wohnungsnachfrage sei bei ihnen eher Aus- als Umbau ein Thema – man überlege beispielsweise regelmäßig gemeinsam mit den Behörden vor Ort, ob und wo ein Dachausbau erfolgen oder das Dach erhöht werden könne. „Letztlich sind die Denkmalschützer ja an der Lebendigkeit in den Vierteln interessiert“, sagt Siegfried Berg. Vorstandschef Uwe Klinger in Gera bekräftigt das grundsätzliche Wohlwollen bei solchen Verhandlungen: „An Leerstand hat keiner Interesse.“ 

Die Mietdauer in den historischen Siedlungen ist hoch, was auch an der hohen Wohnqualität des Umfeldes liegt: Eines der Leitbilder war damals das Mitgestalten der Umgebung, die Bereiche zwischen den Häusern sind in der Regel landschaftsarchitektonisch ansprechend gestaltet. Lernen könnten die Unternehmen durchaus von den Ideen und Konzepten der damaligen Zeit, bekräftigt Vonovia-Sprecherin Nina Henckel. „Schon der Gedanke des Funktionalen und des Verzichtes auf Ornamentik hilft bei heutigen Fragestellungen im Wohnungsbau“, erklärt sie mit Blick auf Ansätze seriellen Bauens. Und auch, wenn sich stadtplanerische Leitsätze heute eher in Richtung eines Miteinanders von Wohnen und Arbeiten bewegen, könne man sich vom Grundansatz eines durchdachten Gesamtkonzeptes über das Einzelgebäude hinaus durchaus etwas abschauen. 

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