Im Maschinenraum der Energiewende

Im Maschinenraum der Energiewende

Im Maschinenraum der Energiewende

Auf dem EUREF-Campus im Berliner Südwesten versorgen innovative Technologien das Quartier mit CO2-neutraler Energie. Wie das funktioniert, zeigen Führungen durch die Energiezentrale des Viertels.

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Auf dem EUREF-Campus in Schöneberg arbeiten 3.500 Menschen, die meisten in Forschungseinrichtungen und Unternehmen aus den Bereichen Energie, Nachhaltigkeit und Mobilität. 2021 wird die GASAG auf das 5,5 Hektar große Areal ziehen. Gleichzeitig mit der Grundsteinlegung für die neue Firmenzentrale öffnete im September 2018 die EUREF-Energiewerkstatt by GASAG Solution Plus, ein Tochterunternehmen der GASAG. 

Hier stehen die Maschinen, die das Areal CO2-neutral mit Wärme und Kälte versorgen. Mit einem System aus Erzeugung und Speicherung produziert die Anlage 6.000 Kilowattstunden Wärme und 2.600 Kilowattstunden Kälte jährlich. Das deckt den gesamten Jahresbedarf des Quartiers für Beheizung und Kühlung. Dazu kommen 2.000 Megawattstunden Öko-Strom, die EEG-vergütet ins öffentliche Netz fließen. 

„Die Zukunft der urbanen Energieversorgung ist im EUREF-Campus heute Realität“, kommentiert der Unternehmenssprecher der GASAG Solution Plus, Andreas Jarfe. „Wir wollen sie erlebbar machen.“ Das Unternehmen bietet geführte Rundgänge durch die Versorgungszentrale an. Das Spektrum der Besucher reicht von der Studentengruppe, über Minister bis zur Regierungsdelegation – auch aus Übersee. Bildschirme, auf denen animierte Filme die Technologien erläutern, und eine interaktive Lichtführung unterstützen die Guides bei den Führungen. 

Komplexes Zusammenspiel 

Bevor der Rundgang beginnt, zeigt ein Modell im Eingangsbereich die Gesamtanlage im Maßstab 1:30. 500 Einzelteile haben die Erbauer zusammengesetzt, um die technischen Komponenten und ein Gewirr an Röhren nachzubilden. Ein einziger Blick macht klar: Die urbane Energiewende ist ein Zusammenspiel vieler Komponenten, ein komplexes System. „Es geht weg vom zentralen Großkraftwerk in der Ferne, hin zu dezentralen Erzeugern und Speichern, die sich gegenseitig ergänzen“, fasst Andreas Jarfe zusammen. 

Von diesen dezentralen Erzeugern gibt es hier einige. Als erstes erleben die Gäste das Herzstück der Anlage in Aktion. Das Biomethan-Blockheizkraftwerk (BHKW) von der Größe eines Kleintransporters produziert mehr als die Hälfte der Wärme, die in ein 2,5 Kilometer langes Verteilnetz fließt. Der blaue Koloss ist schalldicht ummantelt. Denn wie es sich für ein Kraftpaket mit acht Zylindern gehört, macht er gehörig Krach: 112 Dezibel, so laut wie eine Kreissäge. 

Mit einer thermischen Leistung von 431 Kilowatt stellt das Kraftwerk die Hälfte des Wärmebedarfes des Campus bereit. Damit ist die Basisversorgung, die Grundlast, gesichert. Zwei Gas-Niedertemperaturkessel, bei Bedarf zuschaltbar, und ein weiteres, kleines BHKW liefern zusätzlich Wärme bei Bedarf. Ein weiteres Highlight: Deutschlands erste und einzige Power-to-Heat / Powerto- Cold-Anlage (PtH/PtC). Sie beeindruckt durch zwei sechs Meter hohe Zylinder, die bis zur Hallendecke reichen. Darin sind jeweils 22.000 Liter Wasser gespeichert. Ein 500-Kilowatt-Durchlauferhitzer bringt es bei Bedarf auf Temperatur. 

Die Kälte entsteht in großen Kompressoren, nach demselben Prinzip wie beim heimischen Kühlschrank. 2.000 Kilowatt thermische Leistung schafft das System – wenn Bedarf dafür da ist. Denn die Anlage erzeugt immer nur so viel Kälte, wie tatsächlich auf dem Campus benötigt wird. Bei niedrigen Temperaturen findet keine Kompression statt, da die kühle Außenluft in das Nahkältenetz strömt. 

Stadt, Land und Speicher

„Das Prinzip, aus Strom Wärme und Kälte zu erzeugen, ist natürlich nicht neu. Aber wie wir die Technologie integriert haben, ist innovativ“, erklärt Andreas Jarfe. Denn die Anlage ist nicht nur Teil des Systems vor Ort, sondern überregional vernetzt. Als Teil des staatlich geförderten Wind- NODE-Projektes ist sie mit der Produktion von erneuerbarer Energie in Brandenburg verknüpft. Diese übersteigt an sonnen- oder windreichen Tagen bekanntlich die Aufnahmekapazität des Stromnetzes. In den Zeiten von Überschüssen rufen die Strombörsen niedrige oder sogar negative Strompreise auf. Und genau dann erfolgt der Impuls, die Anlage mit Strom zur Generierung von thermischer Energie zu versorgen. Diese kann in den Wassertanks in Form von warmen oder kaltem Wasser gespeichert werden.

„Wir zeigen, wie Sektorkopplung funktioniert: Die Speicherung des Ökostroms durch die Umwandlung zu Wärme oder Kälte vermeidet, dass EE-Anlagen rund um Berlin abgeschaltet werden“, beschreibt Andreas Jarfe die Allianz zwischen Stadt und Land. „Das urbane Quartier nutzt den überschüssigen Öko-Strom, der in den Regionen entsteht. Und das ist mehr als nur ein Plus an Energieeffizienz. Damit stabilisiert die EUREF-Energiewerkstatt das öffentliche Netz.“ 

Optionen zur Speicherung durchziehen die gesamte Energiewerkstatt. Die Speicher der PtH- / PtC-Anlage sind Bestandteile des hydraulischen Systems der Energiezentrale. Sie können damit als Pufferspeicher für die BHKWs genutzt werden. Die Niedertemperatur- Gas-Heizkessel, die 40 Prozent der Wärme beisteuern, verfügen über ein System zur Vorhaltung von Heizenergie. Ihr ausgeklügeltes Leitungssystem besteht aus ineinander geschobenen und miteinander verpressten Stahlrohren, die in mehreren Schichten um den Kern des Kessels herumführen. Es führt 5,1 Kubikmeter Wasser um die Brennkammer herum. Das außergewöhnlich hohe Volumen ermöglicht einen effizienten Betrieb und eine gute Speicherung der Wärme. 

Selbstlernende Steuerung 

Die Intelligenz der Anlage befindet sich in einem eher unscheinbaren Kasten an der Wand im zweiten Raum des Rundganges. Hier laufen die Informationen von mehr als 1.000 Sensoren auf, die unter anderem die Wärmeströme in der Heizzentrale erfassen. Ebenso erfährt die Steuerung durch die Druckverhältnisse im Verteilnetz, wie viel Heizenergie die Gebäude aktuell verbrauchen. Aus diesen Informationen entstehen die Signale für den Betrieb der Komponenten. Zu ihnen gehören vier Hochleistungspumpen, die das temperierte Wasser in das Verteilnetz einspeisen. Ihre Drehzahlen passen sich exakt dem erforderlichen Volumenstrom an. 

Doch die Steuerung kann noch mehr. Um den Betrieb des komplexen Systems aus Erzeugung, Verbrauch und Speicherung zu optimieren, blickt es in die Zukunft. Sie erfasst Wetterdaten und merkt sich, wie viel Energie bei welchen Außentemperaturen und Tageszeiten notwendig ist, um den Bedarf genau zu decken. Mit diesen Informationen ermöglicht das selbstlernende System, die Anlage, Erzeuger und Speicher vorausschauend zu steuern und die Fahrweisen der Komponenten zu optimieren. 

Dabei geschieht durchaus Unerwartetes. „Wir haben erkannt, dass wir die Speicher für die Kältemaschinen noch viel intensiver nutzen sollten und sie vor allem viel größer sein könnten“, führt Andreas Jarfe aus. Denn dann verdrängt günstiger Börsenstrom für die Kompressoren den vergleichsweise teuren Strom, mit dem die Kältemaschinen sonst betrieben werden. Wenn hingegen der Elektroheizer anspringt, konkurriert er wirtschaftlich mit der Warmwasser-Erzeugung durch das Biomethan-BHKW. „Die neue Energiewelt ist so komplex“, resümiert der Kommunikationschef, „dass sie uns Betreiber immer wieder aufs Neue herausfordert.“ 

 

Fotos (Quelle: GASAG Solution Plus):

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