Klimaschutz und Wärmewende: Wie werden wir in Zukunft heizen?

Klimaschutz und Wärmewende: Wie werden wir in Zukunft heizen?

Klimaschutz und Wärmewende: Wie werden wir in Zukunft heizen?
In Sachen Klimawandel ist es kurz vor 12. Es muss sich etwas ändern, auch beim Heizen. Copyright: Gerd Altmann auf Pixabay

Auf dem siebten Fachforum Wohnungswirtschaft des Heiztechnik-Spezialisten Buderus ging es um das Thema Klimaschutz und Wärmewende im Gebäudesektor. Hunderte Gäste vor Ort in Berlin und im Livestream wollten wissen, wie die Wärmerevolution bis 2035 gelingen kann – auch im Bestand.

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Dirk Nitschke wollte sich nicht selbst zitieren, tat es dann aber in abgewandelter Form doch. „Ich habe immer gesagt, es ist fünf vor zwölf“, so der Teamleiter Technische Fachreferenten und Moderator des siebten Fachforums Wohnungswirtschaft von Buderus in Berlin. „Aber es ist zwölf.“ Das Gefühl, dass endlich etwas getan werden muss, um das Heizen in Deutschland zu revolutionieren und möglichst kein fossiles Öl und Gas mehr zu verbrauchen, teilten viele der Gäste vor Ort und im Livestream. Die Frage ist nur: was? Und wie kann die Wärmewende in den nächsten Jahren gelingen? Neben Vertretern der Verbände fassten renommierte Wissenschaftler in ihren Vorträgen den gegenwärtigen Stand zusammen.

Best Practice: Kosten für Strom und Wärme unter denen der Grundversorger

Klar ist: Es muss anders geheizt werden. Und es gibt bereits eine Reihe guter Beispiele. Alexander Kentsch vom Katholischen Siedlungsdienst stellte zwei Projekte vor. „Unser Ziel ist die nötige Energie zu einem Großteil auf dem Grundstück zu gewinnen.“ Beim Quartier in Stuttgart Rosenheim wurde bereits 2012 ein Gesamtkonzept für Wärme und Strom entwickelt, um den KfW-55-Standard zu erreichen. Vorgabe war ein hoher Anteil regenerativer Energien und eine weitgehend CO2-neutrale Stromversorgung der E-Mobilität.

Herzstück der Heizanlage ist ein Eisspeicher in der Größe eines Schwimmbeckens und Wärmepumpentechnik. Der Eisspeicher funktioniert wie ein Kühlschrank, der dem Inneren Wärme entzieht und abgibt. Das Innere ist mit Wasser gefüllt, dem solange Wärme entzogen wird, bis es gefriert. Im Sommer taut das Wasser dann wieder auf und gibt die Kälte zur Kühlung der Gebäude ab.

Ein zweites Beispiel ist ein Quartier in Friedrichshafen mit einem kalten Nahwärmenetz mit Erdwärmesonden und Photovoltaik-Anlagen. Im Vergleich liegen die Kosten für Strom und Wärme damit unter den Tarifen der Grundversorger.

Internetrevolution dauerte 20 Jahre: Kann die Energiewende auch so schnell gelingen?

Volker Quaschning, Professor für Regenerative Energiesysteme, erklärte noch einmal anschaulich, wie schnell der Klimawandel voranschreitet und warum die 1,5 Grad-Grenze eingehalten werden muss. „Wir reden über den Lebensraum von zwei bis drei Millionen Menschen, der einfach weg ist, bei einer globalen Erwärmung von drei bis vier Grad plus in der zweiten Hälfte dieses Jahrhunderts.“

Wegen Überschwemmung, Hitze und Nahrungsmangel und mit allen Folgen, die das Umsiedeln einer so großen Menge Menschen hat. Was also tun? „Wir können ausrechnen, wie viel Kohlendioxid wir noch emittieren dürfen“, sagte er. „Und das heißt, wir müssen 2044 bei null sein, also keine Kohle, kein Öl, kein Gas.“ Gegebenenfalls bleibe Zeit bis 2054. „Die Herausforderung besteht darin, die Welt in den nächsten 30 Jahren klimaneutral zu machen.“ Kaum einer der Teilnehmer des Fachforums war überzeugt, dass dies in so kurzer Zeit zu schaffen sei.

Deshalb zog Volker Quaschning den Vergleich zur Internetrevolution, die auch binnen 20 Jahre die Welt verändert hat. „Nur bei der Energiewende glaubt das keiner oder wir wollen es nicht.“ Die technischen Lösungen sind da. Er selbst ist Verfechter der Wärmepumpe und der E-Mobilität als Lösung und hatte auch entsprechende Berechnungen zur Begründung dabei. Die Energiesituation in Zukunft sieht er für Deutschland so: Sonne und Wind in Kombination mit Batteriespeichern. Schon jetzt gebe es 500.000 Batteriespeicher in Häusern. Auch Wasserstoff werde gebraucht. Da er aber ineffizient und teuer sei, werde er eher in der Industrie und dem Luftverkehr Verwendung finden.

Zwei Strategiestufen auf dem Weg zur Klimaneutralität

Die schwierige Situation zwingt die Wohnungswirtschaft jetzt zu handeln. Norbert Raschper, Professor für Technisches Immobilienmanagement, sieht zwei Strategiestufen auf dem Weg zur Klimaneutralität.

In einem dritten Schritt müssten Restmengen kompensiert werden, CO2-Senken funktioniere dann etwa durch Nachbegrünung von Grünflächen oder Begrünung von Dächern und Fassaden. Allerdings ist die Rechtslage derzeit so, das Dach- und Fassadenbegrünung als CO2-Senker angerechnet werden, Baumpflanzungen nicht.  „Wichtig ist, dass wir nicht bei den Solitären anfangen, sondern bei den Quartieren.“

Daten als Basis allen Handelns

Basis für alles Handeln seien die Verbrauchsdaten, die energetischen Bestandsdaten und ein Anlagenkataster bei den Wohnungsunternehmen. Denn es sei bei vielen nicht einmal erfasst, welche Heizanlage im Keller steht und wie effizient sie ist. „Das ist das Basiswissen, um eine Entscheidung zu treffen.“ Doch diese Grundlagen seien bei 80 bis 90 Prozent der Unternehmen nicht vorhanden. Dann müssen die Ziele für die CO2-Reduktion definiert werden. „Darauf richten sie ihre Organisation aus.“ Klar ist, es gibt bereits vorgegebene Ziele aus der EU: Bis 2030 darf es im Bestand keine Gebäude der Klassen G und H mehr geben. Sie müssen abgerissen oder alternativ saniert werden. Bis 2033 darf es Gebäude mit der Klasse F nicht mehr geben.

Die Kernfrage sei: „Kennen Sie den CO2-Abdruck ihres Unternehmens? Über 30 Kilogramm pro Quadratmeter ist grottig.“ Von da müsste auf null reduziert werden oder zumindest auf sieben Kilogramm pro Quadratmeter. Der Rest ließe sich kompensieren. Einer seiner Empfehlungen lautet: Anschluss der Gebäude an ein Fernwärmenetz, wenn ein zuverlässiger Fernwärmeversorger vorhanden ist, der eine CO2-neutrale Wärmeversorgung anstrebt. Der Grund: „Großkraftwerke sind leichter dekarbonisierbar als Nahwärmesysteme – und diese wiederum besser als Solitäre.“

Wenn das nicht möglich sei, dann lohne es sich, verschiedene Optionen und Systeme durchzurechnen. Zur Steuerung für die Investition sollten als Benchmark die CO2-Vermeidungskosten angesetzt werden, also wie viel Geld muss ausgegeben werden, um eine Tonne CO2 einzusparen. „Clustern Sie die Bestände, gehen Sie nach den CO2-Vermeindungskosten, sehen Sie in den Quartieren, wo Sie schnelle Effizienz herbeiführen können."

Wirtschaftlichkeit von Wärmepumpen: „Nur Mut, die Temperaturniveaus abzusenken“

Die Wärmepumpe wird ein zentrales Element der Energiewende sein, da sind sich die Experten einig. Viktor Grinewitschus, Professor an der EBZ Business School, betonte in seinem Vortrag den menschlichen Faktor. „Wir können alles bauen, dürfen aber keinen Unsinn machen und müssen die Menschen mitnehmen.“ Die Wärmepumpentechnologie ist auf dem Vormarsch, hat aber ein anderes Systemdesign als herkömmliche Heizungen und damit spezifische Probleme. Sie liefert nicht so hohe Temperaturen und kann unter Umständen höhere Verbrauchskosten verursachen. „Die Arbeitszahl muss deshalb kleiner sein als das Verhältnis von Stromkosten zu Gaskosten.“ Er stellte dazu einige Berechnungen zur Wirtschaftlichkeit von Wärmepumpen vor.

Generell plädierte er dafür, bei herkömmlichen Heizungen die Vorlauftemperatur abzusenken, damit an den Heizkörpern nicht mehr so viel Energie ankomme, die am Ende verschwendet werden könne. „Nur Mut, die Temperaturniveaus abzusenken“, sagte er. Wichtig sei bei Einzug der Wärmepumpe die Digitalisierung der Wärmekette. „Wir müssen Anlagen kontinuierlich überwachen, weil die Betriebsführung komplexer ist und wirtschaftlich härtere Auswirkungen hat.“ Ob Mieter bereit seien, die neue Technik und niedrigere Temperaturen zu akzeptieren? Die Einsicht der Mieter sei durchwachsen. Mieter mit überdurchschnittlichen Verbräuchen dürften kein Maßstab für die Einstellung einer Heizungsanlage sein.

Politische Meilensteine der Wärmewende: Gebäudeenergiegesetz & hydraulischer Abgleich der Heizungsanlagen

Dirk Seeger von Bosch Thermotechnik stellte zum Abschluss politische Meilensteine der Wärmewende vor. Dazu gehören die Bundesförderung für effiziente Gebäude vom Januar 2021, für ihn „das erste Programm, das das Potenzial hat, den Markt zu beeinflussen“. Das Megathema ist der Entwurf für das zukünftige Gebäudeenergiegesetz, das noch nicht verabschiedet ist. Der Entwurf sieht vor, dass ab 2024 neue Heizungen zu 65 Prozent auf regenerativer Energie beruhen müssen.  Ein Jahr früher als erwartet. Und es betrifft alle Heizungen, egal ob in Wohngebäuden, Nichtwohngebäuden, ob im Neubau oder Bestand. Geht eine Heizung im Bestand kaputt, muss beim Einbau einer neuen Heizung nachgewiesen werden, dass 65 Prozent erneuerbarer Energie verwendet wird.

Da es anfänglich nicht möglich sein wird, sofort eine entsprechende Heizung einzubauen, gibt es eine Übergangsfrist von drei Jahren, in der eine Ersatzheizung eingebaut und noch betrieben werden darf. „Vielleicht wird sich ein Markt für Gebrauchtgeräte oder Mietmodelle für diese Übergangszeit entwickeln, bis ein regeneratives System eingebaut werden kann.“

Zukünftig sollen Wärmepumpen oder Biomassekessel nur noch gefördert werden, wenn sie 65 Prozent des Wärmebedarfes des Gebäudes abdecken. Im Oktober 2022 tritt die EnSimiMaV (Verordnung zur Sicherung der Energieversorgung über mittelfristig wirksame Maßnahmen) in Kraft, die zum hydraulischen Abgleich der Heizungsanlagen verpflichtet. 2023 wird es eine Reform der Bundesförderung geben – mit neuen technischen Mindestanforderungen. Die EU-Verordnung über fluorierte Treibhausgase (F-Gasverordnung) werde zu einer neuen Generation von Wärmepumpen mit natürlichen Kältemitteln führen. Es werden höhere Effizienzwerte und niedrigere Schallemissionswerte vorgeschrieben. „Auch Reihenhäuser und kritische Gebäude mit wenigen Aufstellungsmöglichkeiten sollen zukünftig von Wärmepumpen profitieren.“

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