"Bewertung heute nicht mehr isoliert gedacht"

"Bewertung heute nicht mehr isoliert gedacht"

"Bewertung heute nicht mehr isoliert gedacht"

Die Rolle von Immobilienbewertungen hat sich im gegenwärtigen Marktumfeld angepasst. Die Leipziger Bewertungsboutique WertSicht arbeitet deshalb zunehmend mit Szenarienrechnungen und simulationsgestützten Ansätzen. Tobias Martin und  Wolfgang Schmidt, Geschäftsführer von WertSicht, haben IMMOBILIEN AKTUELL erklärt, was sich geändert hat. 

Agentur

Während in der Niedrigzinsphase die Bewertung häufig als bloße Formalie im Transaktionsprozess galt, wird sie heute zu einem zentralen Steuerungsinstrument – insbesondere dann, wenn Projektentwicklungen ins Stocken geraten oder Finanzierungsfragen neu verhandelt werden müssen. Das Leipziger Bewertungs- und Beratungsunternehmen WertSicht beobachtet diesen Wandel aus unmittelbarer Nähe. „Wir sehen deutlich, dass Bewertung heute nicht mehr isoliert gedacht wird“, sagt Geschäftsführer Tobias Martin. „Die Frage lautet nicht: Wie hoch ist der Wert? Sondern: Wie kann ein Projekt unter veränderten Bedingungen wirtschaftlich sinnvoll fortgeführt oder beendet werden?“ Und ergänzt: „Der Begriff 'Marktwert' suggeriert Stabilität. Da es sich per Definition beim Marktwert um einen Stichtagswert handelt, kann dieser unter Umständen Übertreibungen beinhalten und ist entsprechend volatil.

In der Praxis bedeutet das, dass Wertgutachten zunehmend eingebettet sind in übergreifende Entscheidungsprozesse – etwa zur Nachfinanzierung durch Banken oder zur Restrukturierung notleidender Projektentwicklungen. Insbesondere bei Objekten, die sich bereits in der Hochbauphase befinden, stellt sich häufig die Frage, ob weiteres Kapital – sogenanntes „Fresh Money“ – bereitgestellt wird oder ob die Verwertung eingeleitet werden muss. Letzteres ist in vielen Fällen mit erheblichen Verlusten für den Kapitalgeber verbunden.

„In stagnierenden Märkten stellen sich Kreditgeber deutlich häufiger die Frage, ob es sich lohnt, ein Projekt zu stabilisieren – oder ob man aussteigt. Unsere Bewertung ist damit nicht das Ende eines Prozesses, sondern der Ausgangspunkt für strategische Entscheidungen“, so Tobias Martin. „Wir sehen regelmäßig Objekte, bei denen der Ankermieter ausgestiegen ist, die Restlaufzeit von Mietverträgen gegen null läuft und der Standort nicht mehr zur ursprünglichen Nutzung passt. Solche Situationen verlangen keine Bewertung nach Lehrbuch, sondern nach Entwicklungspotenzial.“

Die Leipziger Bewertungsboutique arbeitet deshalb zunehmend mit Szenarienrechnungen und simulationsgestützten Ansätzen. Bei Bestandsobjekten, die regulatorisch, technisch oder funktional nicht mehr den aktuellen Anforderungen genügen, wird zunächst die Möglichkeit zur Repositionierung geprüft: Teilumnutzung, Drittverwendung, strukturelle Eingriffe. In der Bewertung wird dabei nicht der Ist-Zustand als maßgeblich gesetzt, sondern das realistisch umsetzbare Nutzungskonzept unter Berücksichtigung der baulichen, rechtlichen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen. „Ein Büroobjekt mit Single Tenant und fünf Jahren Restlaufzeit ist in dieser Marktphase eine tickende Zeitbombe. Die entscheidende Frage lautet: Kann das Gebäude in kleinere Einheiten geteilt werden? Ist die Lage für eine alternative Nutzung geeignet? Wie hoch wären die CapEx?“, sagt Tobias Martin.

Die methodischen Anforderungen sind entsprechend gestiegen. Klassische Wertermittlungsverfahren wie der Ertragswert oder der Vergleichswert stoßen an Grenzen – sei es wegen mangelnder Transaktionsdaten oder fehlender Marktdynamik. Wolfgang Schmidt, ebenfalls Geschäftsführer von WertSicht, spricht hier von einer „notwendigen Erweiterung der Methodik“: „Wir arbeiten regelmäßig mit Szenarienanalysen, simulationsgestützten Bewertungen und Potenzialanalysen. Gerade bei halbfertigen oder umnutzungsfähigen Objekten reicht der Blick auf den Ist-Zustand nicht mehr aus.“

Diese Herangehensweise ist vor allem dort relevant, wo Immobilien nicht mehr den regulatorischen oder funktionalen Anforderungen des Marktes entsprechen – also bei Stranded Assets. In solchen Fällen analysiert WertSicht nicht nur den gegenwärtigen Wert, sondern auch mögliche Umnutzungsszenarien, bauliche Eingriffe und deren wirtschaftliche Tragfähigkeit. Ziel ist eine Bewertung, die sowohl den Anforderungen der Kapitalgeber genügt als auch operative Handlungsspielräume für den Entwickler eröffnet.

Der Beratungsbedarf ist dabei nicht nur auf neue Akteure beschränkt. Vielmehr zeigt sich, dass auch etablierte Marktteilnehmer – darunter Projektentwickler, Kreditinstitute und institutionelle Investoren – externe Expertise stärker nachfragen, um Strategien an das veränderte Umfeld anzupassen. Insbesondere bei Non-Performing Loans (NPLs) tritt WertSicht zunehmend als verlängerter Arm der Banken auf, übernimmt Bestandsaufnahmen, leitet Handlungsempfehlungen ab oder führt das Projektcontrolling.

 „Die Trennung zwischen Bewertung und Beratung löst sich auf“, sagt Wolfgang Schmidt. „Was früher getrennte Prozesse waren – die Einschätzung des Wertes und die operative Entscheidung –, findet heute in enger Wechselwirkung statt.“ Der Bewertungsauftrag ist damit nicht mehr nur technischer Natur, sondern rückt in den Kontext strategischer und finanzieller Risikoabwägung. WertSicht sieht darin keinen Bruch, sondern eine konsequente Weiterentwicklung. „Die goldenen Jahre haben die Unterschiede zwischen guten und schlechten Projektentwicklungen überdeckt“, so Tobias Martin. „Jetzt wird wieder sichtbar, wer mit Substanz arbeitet. Bewertung ist der Prüfstein – nicht als Zahl, sondern als Analysefähigkeit.“