Leipzig und Dresden zeigen sehr deutlich, wie eng wirtschaftliche Dynamik, Wohnungsmarkt und politisches Vertrauen inzwischen miteinander verknüpft sind. Beide Städte wachsen, beide gelten als Kraftzentren in Ostdeutschland, beide stehen aber vor der gleichen Frage: Wie gelingt es, in einer angespannten Haushaltslage genug Raum für Menschen, Unternehmen und Zukunft zu schaffen? IMMOBILIEN AKTUELL fast dden Dresdner Immobilientag und das Leipziger Immobiliengespräch zusammen.
„Wir haben die schlimmste Finanzkrise der kommunalen Ebene seit 1945“, sagt Leipzigs Oberbürgermeister Burkhard Jung. Eine Ausgangslage ohne jede Beschönigung. Gerade aus dem Bundeskanzleramt zurückgekehrt, will der Präsident des Deutschen Städtetages – er vertritt in dieser Position etwa 60 Prozent aller Einwohner – zum ersten Mal gemerkt haben, dass in Berlin der Ernst der Lage zum ersten Mal angekommen sei. Er verbindet diese Diagnose mit einer Warnung: Wenn Politik aus Sicht der Bürger dauerhaft keine Lösungen liefert, verlieren Menschen das Vertrauen in die Demokratie. Burkhard Jung erinnert er daran, dass die kommunale Schieflage kein neues Phänomen ist. Schon in seiner Antrittsrede 2006 habe er gesagt, dass die finanzielle Situation der Kommunen nicht gut sei. Heute müssen Bund und Länder mit zweistelligen Milliardensummen an neuen Schulden umgehen. Auch für die Messestadt bedeutet das: harter Sparkurs und der Abbau von 500 Stellen in der Verwaltung. Jede einzelne Ausgabe stehe auf dem Prüfstand. Es sei der Versuch, einen Sozialstaat neu zu justieren, Ausgaben zu senken, ohne unsozial zu werden.
Parallel dazu beschreibt Prof. Michael Voigtländer vom Institut der deutschen Wirtschaft die nationale Ebene. Deutschland befindet sich im fünften Jahr ohne nennenswertes Wirtschaftswachstum, die Industrie gilt als großer Problembereich, der Arbeitsmarkt dabei erstaunlich stabil. Die Reallöhne sind im dritten Quartal um 2,7 Prozent gegenüber dem Vorjahr gestiegen, was die Nachfrage nach Wohnraum zusätzlich stützt. Der Ökonom erinnert daran, dass Städte die wirtschaftlichen Kraftzentren der Republik sind und Deutschland auf Zuwanderung angewiesen bleibt. Eine Nettozuwanderung von 500.000 Menschen im Jahr erzeugt einen zusätzlichen Baubedarf von rund 250.000 Wohnungen, viele dieser Menschen gehen in die Ballungsräume. Vor diesem Hintergrund bekommt Leipzig mit seiner wachsenden Bevölkerung und seiner Rolle im IW Consult Dynamikranking, wo die Stadt auf Platz drei von 71 Großstädten liegt, eine besondere Bedeutung. Auch im Prognos Ranking zur Lebenswertigkeit steht Leipzig mit Platz sechs sehr weit vorn. Ganz kurz: Leipzig sei ein echtes Kraftzentrum, das zu den schnell wachsenden Städten gehört und bis 2040 um elf Prozent wachsen kann. Das Problem: Genau dieses Wachstum stößt auf einen Wohnungsmarkt, der strukturell zu wenig liefert. Michael Voigtländer zeigt die Lücke zwischen Baubedarf und Baufertigstellungen in Deutschland und macht klar, dass fehlendes Bauland, Fachkräftemangel, seit den 1990er-Jahren ausbleibende Produktivitätsgewinne in der Bauwirtschaft und eine überbordende Regulierung dafür sorgen, dass die Lücke größer wird. Für Leipzig hält er fest, dass die Stadt eine starke Nachfrage und ein knappes Angebot aufweist. Neben den Eigentümern, die dem Markt fehlen und eigentlich eine Chance wären, gehe es auch um das gesellschaftliche Klima. „Wir brauchen neue Narrative. Es gibt keine Demonstrationen für Wohnungsbau. Es muss klar werden, dass auch der Neubau sehr wichtig und nichts schlimmes ist.“
"Bezahlbarere Wohnraum Thema Nummer eins"
Burkhard Jung wiederum beschreibt, wie Leipzig versucht, in diesem Umfeld handlungsfähig zu bleiben. Bezahlbarer Wohnraum ist laut Umfragen das Thema Nummer eins in der Stadt. Die Menschen hätten Angst, dass die Mieten davon galoppieren. Er betont, dass die Verwaltung statistisch einen Großteil der Bauanträge innerhalb von neun Wochen bearbeitet – das Raunen der knapp 200 Gäste aus der Immobilienbranche ist deutlich zu hören – und dass Leipzig privates Investment dringend brauche. Der Bauturbo ist für ihn ‚in erster Linie ein Genehmigungsturbo‘, der es ermöglichen könne, im besten Fall drei Jahre Zeit einzusparen, ohne die kommunale Planungshoheit auszuhebeln. Leipzig wolle den Spielraum des Paragrafen 34 nutzen.
Während Leipzig aus der Dynamik von Zuwanderung und Lebensqualität herauswächst, erzählt Dresden die andere Seite der Transformationsgeschichte. Steffen Rietzschel, Leiter des Amtes für Wirtschaftsförderung, verweist darauf, dass das, was man heute im Dresdner Norden erlebe, bereits in den 1960er-Jahren begonnen habe, als das erste Forschungsinstitut angesiedelt wurde. Über Jahrzehnte hat sich hier ein industrielles Ökosystem entwickelt, das heute von Halbleiterkonzernen wie GlobalFoundries, Bosch oder Jenoptik getragen wird. Ergebnis: deutlich steigende Beschäftigtenzahlen und sinkender Arbeitslosigkeit.
Bis zu 24.200 neue Jobs in Dresden erwartet
Eine zentrale Zahl lautet: 26.000 Menschen arbeiten schon heute in der Mikroelektronik und Software, bis 2030 könnten es 50.200 sein. Bis zu 24.200 neue Jobs in diesen Branchen werden erwartet, inklusive Zulieferer und Dienstleister. Diese wirtschaftliche Wucht schlägt direkt auf Stadtstruktur und Wohnungsmarkt durch. Steffen Rietzschel beziffert einen erheblichen Investitionsbedarf in lokale und regionale Infrastruktur. Ein neues Flusswasserwerk, ein neuer Industriesammler für Abwasser, ein neues Umspannwerk und ein ausgebautes Stromnetz, dazu neue Bildungsorte, der Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs und neue Gewerbeflächen sind geplant.
Vor allem aber identifiziert die Stadt ein Wohnbaupotenzial von 36.000 Wohnungen. Dr. Matthias Lerm, Leiter des Amtes für Stadtplanung und Mobilität, übersetzt diese Perspektive in wohnungswirtschaftliche Zahlen. In seiner Wohnbedarfsprognose zeigt er beim Dresdner Immobiliengespräch, dass die Stadt bis 2035 einen quantitativen Wohnraumbedarf von 22.800 Wohnungen hat, davon 21.000 durch Neubau. 19.000 zusätzliche Haushalte entstehen demografisch, dazu kommen eine Marktreserve von 3.000 Wohnungen und 800 Wohnungen Ersatzbedarf. In der Prognose zur Halbleiterindustrie rechnet er allein aus der Nordraumentwicklung mit 8.000 zusätzlichen Beschäftigten, 4.200 neuen Einwohnern und 2.800 zusätzlichen Haushalten. Der Wohnungsbestand lag 2024 bei 312.550 Wohnungen, die Stadt sichert Flächen für 26.700 weitere Wohnungen, davon 12.400 in größeren Bau- und Entwicklungsgebieten wie der Lingnerstadt oder dem Jägerpark. Gleichzeitig zeigt Matthias Lerm, wie eng der Markt bereits ist. Der Bruttoleerstand liegt bei 6,8 Prozent, der strukturelle Nettoleerstand bei nur 2,5 Prozent, betroffen sind vor allem verlärmte Lagen, Erdgeschosswohnungen, höhere Geschosse ohne Aufzug sowie Neubauten mit Mieten ab 14 Euro pro Quadratmeter.
Die Bestandsmieten sind zwischen 2014 und 2024 um 1,93 Euro pro Quadratmeter gestiegen, das sind 33,9 Prozent. Sie liegen mit 7,62 Euro pro Quadratmeter über dem Bundesdurchschnitt, wobei Genossenschaften im Mittel bei 6,10 Euro und Vonovia bei 6,82 Euro pro Quadratmeter liegen. Die Angebotsmieten sind im gleichen Zeitraum um 4,11 Euro pro Quadratmeter gestiegen, also um 44,2 Prozent, mit zuletzt fünf Prozent Steigerung von 2023 zu 2024 und besonders starkem Anstieg im Neubau. Matthias Lerm kommentiert dieses Zahlenwerk mit dem Hinweis, dass das Dresdner Mietniveau zwar über dem Bundesmittel liegt, man aber von einem deutlich niedrigeren Ausgangsniveau komme. Gleichzeitig verweist er auf die Rolle der Genossenschaften, die rund 20 Prozent des Bestandes halten und deren Anteil leicht steigt.
In diesem Umfeld ist der Bauturbo auch in Dresden ein zentrales Thema. Der Experte macht deutlich, dass die Stadt das Instrument grundsätzlich begrüßt, aber politisch einhegen will. Es gehe insbesondere um bezahlbaren Wohnraum. Baugenehmigungen in Anwendung der Bauturboregelungen werden nicht verlängert. „Der Bauturbo wirkt ohne Bauverpflichtung sonst nur als Genehmigungsturbo.“ Aus seiner Sicht sei das goldene Mittel, einen Grundsatzbeschluss zu fassen, der klarstellt, wo beschleunigt wird und unter welchen Bedingungen.
"Können nicht alle Risiken ausschließen"
Die Stimmen aus der Praxis zeichnen die Realität wieder: Planungssicherheit und ein verlässlicher Rahmen sind die wesentlichen Punkte. Torsten Kracht von der GRK Gruppe kritisiert die oft moralisch geführte Debatte über Investoren: „Ich wünsche mir einen anderen Blickwinkel. Es kommt nicht der böse Investor, der mit Wohnungen Geld verdienen will, sondern es kommt ein Unternehmer, der in die Stadt investieren will." Die Abnehmer von Wohnungen im institutionellen Bereich wie Fonds und Pensionskassen seien heute viel seltener aktiv, neue Vertriebswege müssten erschlossen werden. Patrik Fahrenkamp von der Stadtbau AG betont, es fehle weniger am politischen Willen, sondern an einer konsequenten Moderation. Am Anfang brauche es klare Rahmenbedingungen. „Bei den Projekten diskutieren wir mit vielen Stakeholdern. Das wird immer mehr, daraus folgen dann noch mehr Gutachten. Es geht nur darum alle Risiken auszuschließen, was aber nicht gelingen kann." Public Private Partnership sei aus seiner Sicht eine Möglichkeit, vorausgesetzt, Zuständigkeiten seien geklärt und der politische Rahmen sei zuverlässig.
Auch um den gewerblichen Bereich geht es. Andreas Schöberl, Geschäftsführer von IMMOPACT, bietet knapp über 124.000 Quadratmeter Gewerbeflächen in der Landeshauptstadt an, momentan mit einer Vermietungsquote von 91 Prozent. „Mietvertragsentscheidungen dauern länger, manche Mieter kündigen bereits an, nur noch ein oder zwei Jahre bleiben zu wollen und dann aufzuhören oder ins Ausland, etwa nach Polen, zu gehen“, so Andreas Schöberl. Dresden sei noch nicht so stark betroffen wie andere Märkte, der Trend sei aber unübersehbar. Mario Göldenitz von CTP Invest, seit drei Jahren in Deutschland aktiv, erlebt einen leeren Dresdner Markt bei großen Gewerbeflächen. Die Nachfrage nach Flächen ab 60.000 Quadratmetern sei zurückgegangen, gleichzeitig plane man in Ottendorf mit 78.000 und in Cossebaude mit 105.000 Quadratmetern. Ganz Deutschland schaue auf Dresden, sagt er, die Stadt sei aber schon lange ein Industriestandort gewesen, nicht nur für Halbleiter. Auf der Habenseite sieht er eine hohe Lebensqualität und wenig Flächenleerstand, weniger klassische Logistik, dafür mehr Forschung, Entwicklung und Light Industrial. Irgendwann „in den nächsten Monaten werde es den Sprung geben“, nämlich dann, wenn die Zulieferer das Signal bekommen, tatsächlich nach Dresden zu kommen. Dr. Andreas Sperl von der IHK Dresden macht eine ganz andere Diskussion zu einem Thema auf, das für Dresdens Wirtschaft hohe Relevanz hat: „Die Privatisierung des Dresdner Flughafens kann funktionieren, davon bin ich überzeugt."
In beiden Kraftzentren bedingen sich Wirtschaft und Wohnungsmarkt gegenseitig. In beiden Städten braucht es für die Immobilienwirtschaft klare Rahmenbedingungen und schnelle Entscheidungen. Wachstum braucht Wohnraum und Vertrauen. Vertrauen der Bürger in die Politik, die Entscheidungen trifft und erklärt. Vertrauen der Unternehmen in Rahmenbedingungen, die sich nicht im Jahrestakt ändern. Vertrauen der Kommunen darauf, dass Bund und Länder ihnen genug Spielraum lassen, um aus nationalen Strategien konkrete Projekte vor Ort zu machen.
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