Es sollte um Beschleunigung gehen, am Ende sprach man über Bremsen. Beim 31. Mitteldeutschen Immobilientag in Leipzig zeigte sich, wie weit Anspruch und Realität im deutschen Bauwesen auseinanderliegen. Der Bauturbo, von der Bundesregierung als Signal für schnellere Genehmigungen gefeiert, wurde zum Brennglas für ein viel tieferes Problem: die Angst vor Verantwortung und den lähmenden Reflex zur Überregulierung.
„Das ist Symbolpolitik mit handwerklichen Fehlern“, sagte Steffen Göpel, Geschäftsführer der GRK Immobilien GmbH, vor den knapp 200 Teilnehmenden beim Mitteldeutschen Immobilientag des BFW Mitteldeutschland e.V. Nach über 30 Jahren im Wohnungsbau zieht er eine ernüchternde Bilanz: „Es geht nicht mehr vorwärts. Wir werden nächstes Jahr wieder hier sitzen und uns dieselben Geschichten erzählen.“ Seine Kritik richtete sich nicht nur an Berlin, sondern vor allem an die kommunale Ebene. „Es gibt Ermessensspielräume, aber sie werden nicht genutzt. Die Verwaltungen verstecken sich hinter Verfahren, statt Entscheidungen zu treffen.“
Diese Analyse hinterlegte Magdeburgs Baudezernent Jörg Rehbaum. Seit 1994 in der Stadtplanung tätig, erinnerte er an eine Zeit, in der Bebauungspläne noch pragmatisch waren: „In den 1990ern waren sie nicht perfekt, aber sie halten teilweise bis heute.“ Alles sei deutlich bürokratischer geworden, eine notwendige Entschlackung der Regularien sei auch mit dem Bauturbo nicht gelungen. Zwei Problemfelder macht Jörg Rehbaum auf, über die sonst nur wenig gesprochen wird: Zum einen sei er für angespannte Wohnungsmärkte, was die Frage aufwerfe, ob es nicht sinnvoller sei, wenn er für alle gelte. Zum anderen wecke der Bauturbo Begehrlichkeiten: „Größter Gegenspieler“ seien die Stadträte oder vielleicht besser auch der Zeitrahmen. Der Bauauschuss will umfänglich informiert werden, der Durchlauf eben in Ausschüssen und Fraktionen sei mindestens drei Monate lang, Beteiligungsverfahren in zwei Monaten nicht möglich. „Es sind praktische Themen, die eine Umsetzung erschweren“, so Jörg Rehbaum.
Leipzigs Baubürgermeister Thomas Dienberg kündigte an, die Stadt wolle den Bauturbo nutzen, warnte aber vor zu hohen Erwartungen: „So, wie er jetzt gestaltet ist, vergisst er das Bauen selbst.“ In Leipzig seien 8.500 Wohnungen genehmigt, aber nicht realisiert. Aus seiner Sicht muss der Bauturbo in Verbindung mit einer Baupflicht angewendet werden. Thüringens Staatssekretär für Infrastruktur, Dr. Tobias Knoblich, bezeichnete sich selbst als einen Freund der sanften Töne. „Ich fremdele mit dem Begriff Turbo, er klingt zu brachial. Es gibt keinen Automatismus, er muss von den Kommunen gewollt sein.“ Er sprach von „geprägten Menschen“ in den Verwaltungen, die jahrelang immer neue Vorgaben, Regeln und Gesetze umsetzen mussten. „Darüber mache ich mir Sorgen, weil sie nun auch die sind, die den Bauturbo umsetzen müssen.“
Und während die Politik neue Instrumente schafft, wächst die Skepsis in der Wirtschaft. Professor Reint E. Gropp, Präsident des Leibniz-Instituts für Wirtschaftsforschung Halle, machte klar, dass Deutschland in einer strukturellen Krise steckt: „Wir werden weiterhin bei Null Wirtschaftswachstum bleiben, auch 2026.“ Der angekündigte Investitionsfonds werde „keinen Effekt“ haben, solange Bürokratie und langwierige Prozesse zum Alltag gehören.
Mit einer gewaltigen Zahl stieg Rechtsanwalt und Ministerialdirektor a. D. Michael Halstenberg ein: 450 Milliarden Euro brauche man, um alle Menschen mit Wohnberechtigungsschein mit einer Sozialwohnung zu versorgen. Mit Fördermitteln sei das nicht zu bezahlen und insgesamt weit weg von dem, was zur Verfügung steht. „Wir haben in Deutschland tausende Normen, aber niemand ist verpflichtet, nach allen zu bauen.“ Es ist erlaubt, technische Standards abzuändern, sofern Sicherheit und Qualität gewährleistet bleiben. „Das Weglassen ist nicht verboten. Es ist nur unbequem geworden.“ Michael Halstenberg versteht den Gebäudetyp E nicht als Problemlösung, sondern lediglich als Problembeschreibung. Denn: In Deutschland gebe es tausende Kochbücher, jeder suche sich das aus, was ihm gefalle. „Da fordert doch auch niemand, einzelne Kochbücher abzuschaffen, es wird auch niemand auf ein oder zwei Kochbücher festgelegt, nach denen er ausschließlich kochen darf.“
Auch in den Fachforen wurde dieser rote Faden fortgesetzt. Im Forum Bau zeigten Unternehmen wie Züblin, Xella und Leipfinger-Bader, wie serielle Bauweisen und modulare Prozesse das Potenzial hätten, die Branche effizienter zu machen – wenn Regularien und Förderlogik nicht im Weg stünden. Im Forum Finanzen ging es um die Folgen der Zinspolitik und um die Frage, ob Nachhaltigkeit finanzierbar bleibt. Das Immobilienmanagement-Forum widmete sich rechtlichen Neuerungen und digitalen Werkzeugen, die im Alltag zwar Effizienz bringen, aber ohne politische Verlässlichkeit kaum Wirkung entfalten. Dr. Ingo Seidemann, Vorstandsvorsitzender des BFW Mitteldeutschland, formulierte es bereits zu Beginn des Immobilientages als Warnung: „Wenn wir aufhören, etwas zu unternehmen, ist das Unternehmen weg.“ Für ihn steht fest: Weder Mietpreisbremse noch Sonderfonds werden den Wohnungsbau retten, solange Mut und Realitätssinn fehlen.
Am Vortag hatte der Verband in Leipzig seinen Vorstand bestätigt. Dr. Ingo Seidemann bleibt Vorsitzender, Dr. Nico Ullrich und Peter Pfeffer übernehmen stellvertretende Funktionen für Thüringen und Sachsen-Anhalt, Uwe Kraft bleibt Schatzmeister. Wiedergewählt wurden außerdem Petra Kupietz, Frank Wießner und Hans-Georg Herb – ein Team, das sich künftig mit genau den Strukturen auseinandersetzen muss, die an diesem Tag in Leipzig so offen kritisiert wurden.


