Berlin: Vergesellschaften oder nicht?

Berlin: Vergesellschaften oder nicht?

Berlin: Vergesellschaften oder nicht?
Quelle: Mara Kaemmel

In der Berliner Landeszentrale für politische Bildung wurde über die umstrittenen Pläne zur Vergesellschaftung privater Wohnungsbestände in der Hauptstadt diskutiert. Die Aktivisten der „Deutsche Wohnen & Co enteignen“ agieren nach dem Prinzip Hoffnung.

Agentur

Die Aktivisten der Initiative „Deutsche Wohnen & Co enteignen“ pflastern die Berliner City derzeit wieder mit Plakaten zu. Die klare Ansage lautet dieses Mal: „Vergesellschaftung. Jetzt per Gesetz.“ Denn im nächsten Jahr wollen die Mitstreiter damit beginnen, Stimmen zu sammeln, um das von ihnen entworfene Vergesellschaftungsgesetz per Volksentscheid durchzusetzen. Im August ist zudem die Berliner SPD mit einem Entwurf zu einem „Vergesellschaftungsrahmengesetz“ vorgeprescht,  ohne Abstimmung mit ihrem Koalitionspartner CDU. Die Berliner Landeszentrale für politische Bildung hatte deshalb zu einem Meinungsaustausch unter der Überschrift „Vergesellschaften oder nicht? Zwischen Mieterschutz und Investitionsbremse?“ eingeladen. Nicht nur bei Befürwortern stieß die Veranstaltung in Kooperation mit der Friedrich-Naumann-Stiftung und der Berliner Morgenpost auf großes Interesse. Der Diskussionsabend war ausgebucht, die Atmosphäre angespannt. Im Podium saßen: Christoph Meyer, Landesvorsitzender der Berliner FDP, Maren Kern, Vorständin des Verbandes Berlin-Brandenburgischer Wohnungsunternehmen (BBU), Reiner Braun vom Forschungsinstitut empirica und Lara Eckstein, Sprecherin der Initiative „Deutsche Wohnen & Co enteignen“. Sevim Aydin, Sprecherin für Wohnen und Mieten der SPD-Fraktion im Berliner Abgeordnetenhaus, hatte kurzfristig aus Gesundheitsgründen abgesagt.

Lara Eckstein hatte somit allein die Gelegenheit, für eine Vergesellschaftung zu streiten. „Steigende Mieten sind kein Naturgesetz. Wir können die Mietpreisspirale stoppen mit der Vergesellschaftung“, erklärte sie und betonte: „Wir haben die Lösung und die Mehrheit, wir werden das umsetzen“. Die Initiative will private Wohnungsunternehmen mit mehr als 3.000 Wohnungen vergesellschaften, eine Entschädigung für die rund 250.000 betroffenen Wohnungen soll lediglich 40 bis 60 Prozent des Marktwertes betragen, weil Spekulationsgewinne nicht entschädigt würden. Die Finanzierung der geschätzten rund sieben bis 14 Milliarden Euro könne über Schuldverschreibungen erfolgen und aus Mieten bezahlt werden. Eine Anstalt des öffentlichen Rechts (AöR) soll die Wohnungen verwalten und die Mieten dauerhaft niedrig gehalten werden. Sie berief sich auf das Ergebnis der Expertenkommission, die bereits 2023 zum Schluss gekommen war, dass eine Vergesellschaftung nach §15 Grundgesetz möglich sei. Gegenargumente, Erklärungen zur Funktion des Mietmarktes und anderslautende Berechnungen tat Lara Eckstein mit dem Satz ab: „Wir geben den Mietern Hoffnung.“

An Gegenargumenten mangelt es nicht, sie sind bekannt. Denn Hauptursache für die gestiegenen Mieten sind Wohnungsknappheit und hohe Baukosten. Durch Vergesellschaftung entsteht kein neuer Wohnraum. 29 bis 36 Milliarden Euro könnte die Entschädigung das Land Berlin kosten. Investoren werden abgeschreckt, denn niemand gibt Geld für den Bau oder den Kauf von Mietwohnungen aus, wenn Privateigentum nicht mehr geschützt ist.

Doch sind die Mieten tatsächlich zu hoch? Maren Kern vom BBU, dessen Mitglieder rund 50 Prozent des Berliner Wohnungsbestandes verwalten, kann mit realen Mieten aufwarten. Demnach lag die Durchschnittsmiete der Verbandsunternehmen Mitte 2024 bei 6,85 Euro pro Quadratmeter, die Wiedervertragsmiete bei 8,26 Euro und die Miete für Neubau bei 12,66 Euro. Die Durchschnittsmiete der Vonovia, die ebenfalls zum Verband gehört, lag bei 7,45 Euro. Rund 70 Prozent der Mieter in Berlin zahlen weniger als acht Euro pro Quadratmeter, also weit entfernt von 16 bis 35 Euro, die auf Portalen für möblierten Wohnraum angeboten werden. Auch im Publikum meldeten sich auf Nachfrage nur wenige, die mehr als zehn Euro pro Quadratmeter aufwenden müssen. Christoph Meyer (FDP) wies die Behauptung zurück, dass die Vergesellschaftung für alle Mieter in Berlin zu einer Dämpfung im Mietwohnungsmarkt führen würde. „Das ist sachlich falsch. Ich würde fast sagen, dass ist die Unwahrheit, weil es nichts am Grundproblem ändert. Es fehlen einfach Wohnungen.“ Die Lösung sei nur, mit allen Akteuren schneller zu bauen. Bevor man über Artikel 15 spreche, müsste man erst mal alles aktivieren, was politisch möglich ist und darüber werde in Berlin leider zu viel zu wenig diskutiert.

Reiner Braun von empirica hat analysiert, ob ein hoher Bestand an Wohnungen im kommunalen Eigentum tatsächlich zu niedrigeren Mieten führt. Er hat dazu die Mieten von Hamburg, Berlin und Wien verglichen. Wien hat mit rund 43 Prozent einen relativ hohen Anteil an Mietwohnungen, die der Stadt oder gemeinnützigen Bauvereinen gehören. „Die durchschnittlichen Bruttokaltmieten unterscheiden sich Plus-Minus 20 Cent.“ Das sei für ihn ein Indiz, so Reiner Braun, dass der Anteil kommunaler Wohnungen nicht automatisch dafür sorgen kann, dass die Miete sehr viel niedriger ist. Er betonte, dass niedrig gehaltene Mieten bei hoher Nachfrage zu noch höherer Nachfrage, höherem Wohnflächenverbrauch und zu illegaler Untervermietung führen. Doch diese Argumente zählen bei den Vergesellschaftern nicht. „Wir hoffen“, sagte Lara Eckstein.

Derweil arbeiten neben CDU und SPD mit dem Vergesellschaftungsrahmengesetz auch die Grünen und die LINKE an einer Totalregulierung des Berliner Wohnungsmarktes, in der Hoffnung damit Wählerstimmen zu gewinnen. Denn 2026 wird in der Hauptstadt wieder gewählt. Die LINKE hat im September den Entwurf für ein Sicher-Wohnen-Gesetz vorgestellt, die Grünen einen Entwurf für ein Bezahlbare-Mieten-Gesetz. Die LINKE fordert unter anderem, dass auch kleine Vermieter mit mehr 50 Wohnungen frei werdende Wohnungen an Haushalte mit Wohnberechtigungsschein vermieten müssen. Die Grünen wollen ebenfalls ab 50 Wohnungen einen steigenden Anteil an sogenannten bezahlbaren Mieten verlangen, darüber hinaus eine Instandhaltungspflicht, ein Mietenkataster und ein Vermietungsverbot oder eine Verkaufspflicht bei Verstößen.

Auch der Mieterverein meldet sich mit neuen Regulierungsvorschlägen zu Wort: Das Institut für Soziale Stadtentwicklung Potsdam/Berlin (IFSS) hat in seinem Auftrag eine Studie zur Kurzzeitvermietung durchgeführt. Das Ergebnis sind Forderungen nach einem Genehmigungsvorbehalt für möblierte Vermietungen in Milieuschutzgebieten, öffentlich kontrollierte Vermittlungsagenturen nach gemeinwohlorientierten Kriterien und eine Ausweitung der Übernachtungssteuer auf Vermittlungsportalen.