Der BFW Bundesverband Freier Immobilien- und Wohnungsunternehmen hat in Berlin ein neues Gutachten vorgestellt, das sich mit dem kostengünstigen Wohnungsbau und der rechtlichen Umsetzung des Gebäudetyp E befasst. Verfasst wurde es von dem Rechtsexperten Michael Halstenberg, der darin elf konkrete Regelungs- und Verfahrensvorschläge formuliert. Diese orientieren sich direkt am aktuellen Koalitionsvertrag und zielen auf einen rechtssicheren, bundesweit einheitlichen Systemwechsel beim Planen und Bauen ab.
„Wir wollen nicht zum Mond fliegen. Wir wollen nur warm, trocken und sicher wohnen. Das BFW-Gutachten liefert dazu die rechtlichen Koordinaten, die es der neuen Bundesregierung ermöglicht, den nötigen Erfolg beim Bauen und Wohnen für die Bürgerinnen und Bürger und die vielen Unternehmen zu erzielen“, betont BFW-Präsident Dirk Salewski.
Kern des Gutachtens ist die Forderung, überhöhte, kostentreibende Standards durch rechtssichere und technisch gleichwertige Lösungen zu ersetzen. Eine Abweichung von DIN-Normen und technischen Regelwerken soll keinen Mangel darstellen, wenn die Eignung durch eine alternative Ausführung gewährleistet ist. „Das Gutachten zeigt auf, wie überhöhte baukostensteigernde Standards einfach und rechtssicher vermieden werden können. Zugelassen wird insbesondere eine technisch gleichwertige Ausführung, auch wenn sie von technischen Regelwerken abweicht. Die bauordnungsrechtlichen Mindeststandards sollen auch im Zivilrecht grundsätzlich ausreichend sein, sofern die Parteien nichts anderes vertraglich vereinbaren. Damit führt die gesetzliche Umsetzung des Gebäudetyp-E-Prinzips zu einem Systemwechsel, der kostengünstigeres Bauen ermöglicht“, erklärt Michael Halstenberg.
Dirk Salewski unterstreicht die Dringlichkeit: „Viel wurde immer wieder in den vergangenen Monaten über den Gebäudetyp E diskutiert und geschrieben. In Hamburg und Niedersachsen gab es hierzu schon wichtige Impulse. Wir brauchen allerdings nicht weniger als einen bundesweiten Systemwechsel, und zwar so schnell wie möglich. Dieses Gutachten macht konkrete Vorschläge, schnell umsetzbar, die sofort Wirkung entfalten können. Das haben wir auch bitter nötig. Die Krise beim Bauen ist schließlich noch nicht vorbei. Es ist ein Irrtum zu glauben, wir hätten die Talsohle schon erreicht, wir befinden uns noch immer im freien Fall. Kapazitäten werden noch immer abgebaut. Gleichzeitig wird seit drei Jahren über den Gebäudetyp E diskutiert: wie es für alle am Bau Beteiligten möglich ist, rechtssicher geringere Standards zu vereinbaren. Dieses Gutachten macht es endlich möglich.“
Das Gutachten „Regelungsvorschläge zum kostengünstigen Bauen“ schlägt unter anderem vor, § 633 BGB so anzupassen, dass technisch gleichwertige, aber abweichende Lösungen keinen Sachmangel mehr darstellen. Es fordert, das Bauordnungsrecht als zivilrechtliche Grundlage zu etablieren, die automatische Geltung anerkannter Regeln der Technik in der VOB/B zu verhindern und das Gebäudeenergiegesetz technologieoffen anzuwenden. Flankierend dazu enthält das Papier Verfahrensvorschläge zur wirtschaftlichen Folgenabschätzung neuer Normen, zur Vereinheitlichung abgesenkter Standards im sozialen Wohnungsbau, zur Verbesserung der Normungsprozesse und zur praxistauglichen Umsetzung eines künftigen Gebäudetyp-E-Gesetzes. Ziel ist eine Neubewertung technischer Standards unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten – und damit ein rechtlich abgesichertes Fundament für einfacheres, schnelleres und kostengünstigeres Bauen in Deutschland.
Pilotprojekt trifft Praxis: Was das Bürogebäude von Drees & Sommer über den Gebäudetyp E verrät
Wie lassen sich neue gesetzliche Spielräume beim Bauen konkret nutzen? Die Antwort liefert ein reales Bauvorhaben in Stuttgart-Vaihingen: Am Hauptsitz von Drees & Sommer entsteht derzeit Deutschlands bislang größter Bürokomplex nach dem Prinzip des Gebäudetyps E. Das Projekt zeigt in der Praxis, was das Gutachten des BFW Bundesverbands Freier Immobilien- und Wohnungsunternehmen in der Theorie fordert: weniger Standardfixierung, mehr planerische Freiheit – bei gleicher Sicherheit.
„Einfach, effizient, experimentell, dafür steht der Buchstabe E“, sagt Stuttgarts Bau- und Umweltbürgermeister Peter Pätzold. Die Stadt begleitet das Vorhaben konstruktiv – in der Hoffnung, dass die gewonnenen Erkenntnisse künftig weitere Projekte in Stuttgart vereinfachen und beschleunigen. Denn auch Pätzold sieht im Gebäudetyp E die Chance, sich aus einem regelungsdichten Korsett zu lösen, das Innovation oft eher blockiert als befördert. Das Neubauprojekt greift zentrale Ideen auf, die das neue BFW-Gutachten rechtlich absichern will: Dazu gehört der Einsatz technischer Alternativen jenseits normativer Vorgaben, wie etwa beim Recycling von Baustoffen oder bei reduzierten baulichen Standards. Genau an diesen Punkten zeigt sich bereits im Planungsprozess, wo sich neue Lösungen bewähren – und wo es noch offene Fragen zu Zulassung und Gewährleistung gibt.
Mit der besonderen Konstellation als Bauherr, Planer und künftiger Nutzer in Personalunion kann Drees & Sommer Prozesse intern straffen – ein Vorteil gerade im Kontext des Gebäudetyps E, bei dem Abstimmung, Vertrauen und Risikobereitschaft zentrale Rollen spielen. Vorstand Steffen Szeidl sieht darin eine ideale Ausgangsposition: „Durch unsere Dreifachrolle entfallen langwierige Abstimmungsprozesse, aber auch Haftungsfragen, die sich beim Gebäudetyp E ergeben, wenn auf neue Lösungen gesetzt wird.“
Das Projekt THE NEW 22 wird damit zu einem konkreten Prüfstein für den angestrebten Systemwechsel im Bauwesen. Was bislang oft als theoretisches Konzept diskutiert wurde, nimmt hier erstmals in großem Maßstab bauliche Gestalt an. Sollte das Vorhaben gelingen, könnte es weit über Stuttgart hinaus Wirkung entfalten – als Referenz für zukunftsorientiertes, ressourcenschonendes und rechtlich abgesichertes Bauen.
Hier geht es zum vollständigen Gutachten