Professor Reint E. Gropp, Präsident des Leibniz-Instituts für Wirtschaftsforschung Halle (IWH) und Inhaber des Lehrstuhls für Volkswirtschaftslehre an der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg, analysiert beim Mitteldeutschen Immobilientag des BFW Mitteldeutschland die derzeitige Wachstumsschwäche der deutschen Wirtschaft und die Folgen der internationalen Entwicklungen für das deutsche Modell. Am 11. November wird der beim Halleschen Immobiliengespräch den Fokus auf die Saalestadt setzen.
Es ist schnell zusammenzufassen: Wachstum ohne Dynamik, Deutschland verliert den Anschluss. Oder wie Prof. Reint E. Gropp es sagt: „Wir werden weiterhin bei Null Wirtschaftswachstum bleiben, zumindest 2026.“ Der Präsident des Leibniz-Instituts für Wirtschaftsforschung Halle und Inhaber des Lehrstuhls für Volkswirtschaftslehre an der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg zeigte in seinem Vortrag unter dem Titel „Trump, Eurozone und Ukraine-Krieg – Was wird aus Deutschland?“ unangenehme Wahrheiten auf.
Seit Jahren verzeichnet Deutschland kein Wachstum. Die Potenzialschätzungen des Bruttoinlandsproduktes hätten sich seit 2019 deutlich von anderen Ländern der Eurozone entfernt, so der Experte. Deutschland entwickle sich zunehmend schwächer als die europäischen Partner. „Wir sind auf einem langfristigen Nullwachstumspfad, während andere ihre wirtschaftliche Dynamik zumindest teilweise zurückgewinnen.“ Ein Schwerpunkt seiner Analyse waren die öffentlichen Investitionen, auf die auch die Immobilienbranche viel setzt.
Die neue Bundesregierung argumentiere, die Schuldenbremse habe diese Investitionen bisher behindert, und wolle mit einem Fonds über 500 Milliarden Euro, der von der Schuldenbremse ausgenommen ist, Abhilfe schaffen. Reint E. Gropp zeigte auf, das der Mangel an Investitionen nicht an der Schuldenbremse lag und hält die Maßnahme für wirkungslos: „Der Effekt des Investitionsfonds wird null sein, der Fonds ist vollkommen irrelevant.“ Entscheidend seien nicht finanzielle Grenzen, sondern strukturelle Hindernisse: zu lange Verfahren, zahlreiche Einsprüche, fehlende Kapazitäten und eine lähmende Bürokratie. „Deutschland investiert im Schnitt nur ein bis eineinhalb Prozent seines Bruttoinlandsproduktes in öffentliche Projekte. 50 Milliarden Euro mehr pro Jahr wären nötig, um überhaupt den europäischen Durchschnitt zu erreichen.“
Bürokratie sei das zentrale Problem. Zwar sei deren Abbau politisch beliebt, in der Praxis aber kaum gewollt. „Bürokratieabbau ist nur theoretisch populär. Praktisch mögen Menschen es sehr, anderen die Verantwortung geben zu können: Ich bin nicht zuständig, ich bin nicht verantwortlich.“ Dazu kommt, dass in einer solchen Situation auch die privaten Investitionen ausbleiben. Unternehmensumfragen bestätigen die bekannten Hemmnisse: hohe Energie- und Lohnnebenkosten, politische Unsicherheit, Fachkräftemangel und administrative Belastungen. Der im Koalitionsvertrag angekündigte „Investitionsbooster“, der eine degressive Abschreibung und ab 2028 eine Senkung der Unternehmenssteuer um fünf Prozentpunkte vorsieht, sei reine Symbolpolitik: „Je doller der Begriff, desto kleiner die Maus, die drinsteckt.“ Man denke dabei auch an den Doppelwumms.
Mangelnde Innovationsdynamik
Ein tieferliegendes Problem sieht Prof. Reint E. Gropp in der sinkenden Produktivität. „In den letzten zehn bis 15 Jahren ist das Produktivitätswachstum in Deutschland deutlich stärker gefallen als in den USA oder anderen EU-Staaten.“ Der Grund liege in einer mangelnden Innovationsdynamik. Innovationen entstünden fast ausschließlich innerhalb bestehender Unternehmen. Neue Marktteilnehmer hätten es schwer. „Unsere Wirtschaft ist statisch. In den USA entstehen disruptive Innovationen durch neue Firmen. Bei uns sind Patente meist graduell, nicht radikal.“ Dass Deutschland trotzdem lange vergleichsweise hohe Produktivitätszuwächse verzeichnete, erklärt er mit der Stärke des dualen Ausbildungssystems: „Unsere Fachkräfte sind überdurchschnittlich gut in Problemlösung und Mathematik, das hat vieles kompensiert. Aber dieses Modell funktioniert in einer disruptiven Welt nicht mehr.“
Mit Blick auf die USA analysierte der Volkswirt die Politik von Donald Trump, die er als Festungswirtschaft bezeichnete. „Trumps Wirtschaftspolitik beruht auf zwei Säulen: Protektionismus und Null-Einwanderung. Beides ist eine radikale Umkehr der republikanischen Politik der letzten 100 Jahre.“ Etwa zehn Prozent der deutschen Exporte gingen in die USA, doch die Auswirkungen möglicher Zölle seien begrenzt: „Amerikaner kaufen keinen BMW, weil er billiger als ein Chevrolet ist. Trumps Zollpolitik hat wahrscheinlich größere negative Konsequenzen für die USA als für Deutschland.“
Einwanderungspolitik der USA mit schweren Folgen
Schwerwiegender seien die Folgen der Einwanderungspolitik. 2025 werde voraussichtlich das erste Jahr mit Null oder sogar negativer Migration in die USA. Die mexikanische Grenze sei geschlossen, die Regierung plane Gebühren von 100.000 US-Dollar für H1-B-Visa. „Mehr als die Hälfte der Arbeiter in der US-Landwirtschaft und ein Viertel im Bauwesen sind Migranten. Noch gravierender ist der Verlust der Hochqualifizierten: Vier der sieben CEOs großer US-Techkonzerne sind Migranten, und 30 Prozent aller US-Patente gehen auf Zuwanderer zurück.“ Der Rückgang der Migration habe laut Internationalem Währungsfonds erhebliche Folgen: Ein Prozentpunkt mehr Einwanderung erhöhe das Bruttoinlandsprodukt pro Kopf in Industrieländern um rund zwei Prozent.
Diese Entwicklung eröffne hier neue Möglichkeiten. „Deutschland ist im internationalen Vergleich für Hochqualifizierte attraktiver geworden“, so Prof. Reint E. Gropp. „In der Vergangenheit war es sehr schwierig, Top-Spezialisten abzuwerben. Das hat sich geändert. Wir haben jetzt wirklich eine Chance, aber wir nutzen sie nicht.“ Gleichzeitig würden Mittel für Wissenschaft und Forschung gekürzt – ausgerechnet in einer Phase, in der sich das Kräfteverhältnis zugunsten Europas verschiebe. Investitionen in Bildung und Wissenschaft seien produktiver und schneller wirksam als Industriepolitik oder Sondervermögen.
„Unser Wachstumspotenzial wird davon abhängen, ob das deutsche Modell mit disruptiver Innovation umgehen kann.“ Dafür brauche es Risikokapital, Digitalisierung und den Mut, neue Akteure in den Markt zu lassen. Er verwies auf die Schweiz als Beispiel: „Dort gibt es weniger Regeln, aber eine völlig andere Mentalität. Entscheidungen werden schneller getroffen, Verantwortung klarer übernommen. Diese Haltung fehlt uns.“ Deutschland leidet also – irgendwie dann doch wenig überraschend – weniger an einem Mangel an Geld als an einem Mangel an Geschwindigkeit, Offenheit und Vertrauen in die eigene Veränderungsfähigkeit.
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