Bushra Nadeem ist Founder und Managing Director des Unternehmens ARTES Recruitment und hat mit IMMOBILIEN AKTUELL über das Infrastrukturpaket der Bundesregierung gesprochen und was das für die Immobilienbranche hinsichtlich von Jobs bedeutet. Zudem geht es um ESG-Manager, Qualifikation, Weiterbildung und Stellenabbau.
IMMOBILIEN AKTUELL (IA): Die Bundesregierung will in den kommenden Jahren über 500 Milliarden Euro in Infrastruktur und Klimaneutralität investieren. Was bedeutet das für den Arbeitsmarkt in der Bau- und Immobilienbranche?
Bushra Nadeem (BN): Also grundsätzlich ist das erst einmal ein positives Signal. Ein solches Investment bedeutet immer, dass dem Markt etwas zusätzlich zugeführt wird und das wird natürlich zu spüren sein. Die Baubranche wird dadurch einen deutlichen Ruck erfahren. Wo die finanziellen Mittel am Ende genau hinfließen, ist jetzt natürlich noch nicht absehbar, da das Investitionsziel Infrastruktur und Klimaneutralität eine große Bandbreite möglicher Projekte abdeckt. Aber tatsächlich spüren wir als Personalberater jetzt schon, dass sich hier etwas tut. Insbesondere Bauunternehmen und Generalunternehmer rüsten sich für die Zukunft, beispielsweise durch die Wiedereinstellung von Positionen, die in der Krise nicht nachbesetzt worden waren, das Set-up neuer Niederlassungsleitungsfunktionen oder auch neue Geschäftsführerpositionen. Allerdings ist auch klar, dass es seine Zeit brauchen wird, bis diese zusätzlichen Aufträge und Projekte im Markt ankommen.
IA: Viele Projektentwickler und Bauunternehmen haben zuletzt Stellen abgebaut. Gleichzeitig kündigt sich eine massive Investitionswelle an. Wie passt das zusammen – und wie schätzen Sie die personelle Ausgangslage der Branche ein?
BN: Es ist tatsächlich ein schmaler Grat. Die Branche hat in den vergangenen Jahren viele Fachkräfte verloren und enorm Stellen abgebaut. Das ist natürlich nicht die beste Ausgangslage für einen möglichen Aufschwung. Auf der anderen Seite stellen Unternehmen aber auch nicht spekulativ ein, da die Risikolage nach wie vor sehr hoch ist und insbesondere Projektentwickler in den vergangenen Jahren extrem schlechte Erfahrungen gemacht haben und Personal freisetzen mussten aufgrund ausbleibender Aufträge. In den vergangenen Monaten haben zahlreiche Developer aber wieder angefangen, Personal einzustellen, was zeigt, dass die Branche grundsätzlich optimistisch ist. Unternehmen sehen sich aber auch extrem vorsichtigen Kandidaten gegenüber. Wer einmal – wie es in den vergangenen Jahren häufig passiert ist – in der Probezeit wieder gegangen ist, überlegt sich genau, welchem potenziellen Arbeitgeber er seine Zukunft anvertraut.

IA: Welche Fachprofile werden in den kommenden Jahren besonders gefragt sein – sowohl im Neubau als auch bei Sanierungsprojekten?
BN: Die Nachfrage nach Positionen im Investment Management, in der Projektentwicklung, im Bereich Akquisition und Business Development werden sehr gefragt sein. Zeitversetzt dann natürlich entsprechend auch in den Bereichen Asset und Property Management, sowohl im kaufmännischen als auch im technischen Bereich.
IA: Gibt es bestimmte Qualifikationen, die bisher auf dem Markt kaum verfügbar sind, aber künftig essenziell werden? Und wie verändern sich die Anforderungen an Projektsteuerer, Bauleiter oder technische Planer durch die Themen Klimaneutralität und Digitalisierung?
BN: In puncto Qualifikation ist das ganz klar das Thema ESG. Zwar gibt es heute zahlreiche Studiengänge und Weiterbildungen, aber echte Spezialisten, die vor allem Erfahrung mitbringen sind extrem rar gesät. Dieser Bereich ist aber essentiell für die Zukunft, wenn es darum geht, Klimaneutralität in der Bau- und Immobilienwirtschaft zu implementieren. Auf der anderen Seite bedeutet dies natürlich auch, dass heutige Spezialisten an dem Thema nicht mehr vorbei kommen und die jeweiligen für ihren Bereich relevanten Kenntnisse erlangen müssen, um in Zukunft nicht nur up to date, sondern für den Arbeitsmarkt auch weiterhin interessant zu sein.
IA: Künstliche Intelligenz gilt als Schlüssel zur Effizienzsteigerung – auch im Bauwesen. Wer treibt dieses Thema derzeit in Unternehmen voran? Und braucht es neue Rollen oder Abteilungen, um hier zukunftsfähig zu werden?
BN: Die Unternehmen stehen hier tatsächlich ganz am Anfang. In den vergangenen Jahren war ESG das Top-Thema, jetzt ist es Künstliche Intelligenz. Wohin diese Reise führt, ist bislang noch relativ unklar. In erster Linie wird darüber gesprochen und der nächste Schritt wird sein, wie Unternehmen die Möglichkeiten von KI ganzheitlich implementieren, um Prozesse zu optimieren. Und man darf auch nicht vergessen, dass das Produkt an sich – die Immobilie – am Ende ein analoges Produkt bleibt. Und ganz neu ist das Thema auch nicht. Die Digitalisierung in der Immobilienbranche und im Bau, das Thema PropTech, ist ja bereits 10 bis 15 Jahre alt und hat schon vieles bewegt. Jenseits der Thematisierung bei LinkedIn spielt das Thema aktuell noch keine große Rolle, zumindest hat es den spürbar innovativen Durchbruch, der alles verändert, hier noch nicht gegeben.
IA: Wo stehen Immobilienunternehmen beim Thema KI-Anwendung aus Ihrer Sicht wirklich – jenseits der PR-Rhetorik?
BN: Es wird seine Zeit brauchen, bis sich die Branche beim Thema KI aufstellt. In den einzelnen Bereichen von Unternehmen spielt es bei täglichen Arbeitsprozessen natürlich schon heute eine Rolle. Etwa wenn es darum geht, Präsentationen zu erstellen, Meetings zusammenzufassen etc. Viele Arbeitsprozesse können effizienter gestaltet werden als früher, einheitliche KI-Strategien von Unternehmen erkennen wir aber bislang nicht.
IA: ESG, Nachhaltigkeitszertifikate, EU-Taxonomie: Wer hat aktuell in Unternehmen das Know-how, um die Anforderungen einzuordnen – und sind diese Personen gut genug aufgestellt? Es gibt bislang kein standardisiertes Berufsbild für ESG-Manager. Wie reagieren Unternehmen auf diesen Mangel an strukturiertem Fachwissen?
BN: Das ist genau die Schwierigkeit, mit dem die Unternehmen konfrontiert sind, da es diese geschützten Berufsbegriffe im Bereich ESG bislang nicht gibt. Das heißt, jedes Unternehmen definiert seine eigenen Aktivitäten hier möglicherweise anders. Auch für uns ist dies herausfordernd, da wir, wenn wir auf die Suche nach Kandidaten gehen, erst einmal im Detail lernen müssen, was unser Auftraggeber genau mit der Position erreichen will. Unternehmen A möchte vielleicht einfach nur Immobilien zertifizieren lassen, um dann entsprechend in die Vermietung gehen zu können. Das ist ein anderer Ansatz, wie wenn Unternehmen B seine gesamte Unternehmensphilosophie intern auf nachhaltig und klimaneutral stellen möchte. Deshalb muss man hier individuell nach qualifizierten Leuten für die jeweilige Aufgabe suchen, da es gelabelte Experten, wo man genau weiß, welche Qualifikationen dahinterstecken, noch nicht gibt. Das wird sich in Zukunft aber ändern – auch aufgrund der zahlreichen neuen Berufsbilder, die aus entsprechenden Studiengängen hervorgehen werden.
IA: Beobachten Sie, dass Unternehmen Nachhaltigkeit zunehmend strategisch verankern – oder bleibt es häufig bei Einzelinitiativen?
BN: Ja, das ist tatsächlich der Fall. Die Unternehmen haben mittlerweile gelernt, dass es sich hierbei nicht um einen temporären Trend handelt, sondern dass das Thema essentiell für die eigene Zukunftsfähigkeit ist, aus Sicht potenzieller Auftraggeber ebenso wie für potenzielles Personal.
IA: Gibt es einen Trend zu Inhouse-Weiterbildung, um die personellen Lücken zu schließen? Oder setzen Unternehmen eher auf externe Berater?
BN: Tatsächlich beobachten wir beides. Zum einen sind viele Unternehmen immer noch zögerlich, wenn es darum geht, neu einzustellen und versuchen, personelle Vakanzen mit eigenen Ressourcen, also Weiterbildung, zu füllen. Zum anderen gibt es aber auch ganz klar einen Trend dazu, solche Lücken mit externen Experten zu schließen. Das ist auch der Grund, warum wir im vergangenen Jahr einen neuen Geschäftsbereich Interim Management aufgebaut haben, weil die Nachfrage nach Experten auf Zeit und der entsprechenden Flexibilität in der Personalplanung sehr hoch ist. Ich sehe aber nicht, dass das Pendel in der Zukunft in die eine oder andere Richtung ausschlägt.
IA: Wie realistisch ist es aus Ihrer Sicht, dass die Bau- und Immobilienbranche personell mit dem Investitionstempo der Bundesregierung Schritt halten kann?
BN: Meiner Meinung nach muss diese Frage eher andersherum betrachtet bzw. gestellt werden. Man darf nicht unterschätzen, wie flexibel und schnell die freie Wirtschaft ist, sich auf neue Situationen einzustellen und darauf zu reagieren. Deshalb sehe ich eher von Seiten der Bundesregierung Herausforderungen, die freigegebenen Gelder auch rasch und sinnvoll in Projekte umzusetzen. Unternehmen sind in der Lage, innerhalb von rund einem halben Jahr eine komplette Abteilung neu aufzusetzen, wenn dies notwendig ist. Dass wir in dieser Zeit angesichts der vielen Auflagen, denen die öffentliche Hand unterworfen ist, konkrete Projekte sehen, halte ich für unwahrscheinlich.
IA: Sie arbeiten mit vielen Unternehmen und Kandidaten gleichzeitig – woran erkennen Sie, ob ein Unternehmen zukunftsfähig aufgestellt ist?
BN: Die Zukunftsfähigkeit von Unternehmen hängt ganz zentral von den Menschen, den Führungskräften und Entscheidern ab, die dort arbeiten. Welcher Typ Mensch ist das? Wir arbeiten grundsätzlich nach einem werteorientierten Ansatz, und das ist heute auch zentral. Denn heute ist kaum noch das Unternehmen an sich der USP einer Firma, sondern eher die Teams, mit denen man zusammenarbeiten kann. Das ist gerade in einer Branche wie der unseren bekannt. Unternehmen, die hier eher „oldschool“ unterwegs sind, mit klassischen Alphatieren besetzt sind, werden es sehr sehr schwer haben, Menschen zu finden, die mit ihnen zusammenarbeiten möchten. Deshalb ist die Zukunftsfähigkeit von Unternehmen heute in erster Linie People Business. Dort müssen Menschen agieren, die nach Werten handeln, buchstäblich menschlich sind, das Potenzial haben, Personal zu entwickeln und damit auch attraktiv für die aktuelle und die nachrückenden Bewerbergenerationen bleiben.
IA: Was raten Sie Projektentwicklern und Bauunternehmen, die sich jetzt personell für die Zukunft aufstellen wollen?
BN: Jetzt ist die beste Zeit dafür. Die Konjunktur in der Bau- und Immobilienbranche springt an, der Kandidatenpool ist aber noch groß und Unternehmen haben die Möglichkeit, interessante und hochqualifizierte Menschen einzustellen, die nach den Wirren der vergangenen Jahre neue Herausforderungen suchen oder sich ebenfalls neu aufstellen möchten. Mit zunehmender Nachfrage werden auch die Gehaltsvorstellungen mitwachsen.