Im Kirschbergquartier in Weimar hat Tegut eine neue Filiale eröffnet – in einem Gebäude mit Geschichte: Der Supermarkt ist in der ehemaligen städtischen Schlachthalle untergebracht, einem denkmalgeschützten Bau aus dem späten 19. Jahrhundert. Das Projekt verbindet Einzelhandelsnutzung mit dem Erhalt historischer Architektur und ist Teil eines großangelegten Stadtentwicklungsprozesses in der thüringischen Kulturstadt.
Die Immobilie wurde im Rahmen eines nachhaltigen Umbaus an die Anforderungen des Lebensmittelhandels angepasst. Grundlage bildete eine gemeinsam mit der Hochschule Darmstadt entwickelte Studie zur klimaschonenden Nachnutzung von Bestandsgebäuden. Ziel war es, die bestehende Raumstruktur möglichst zu erhalten und gleichzeitig moderne Technik sowie eine effiziente Kundenführung zu integrieren. Der Markt mit rund 1.180 Quadratmetern Verkaufsfläche bietet ein Vollsortiment, darunter 3.000 Bioprodukte und fast 900 Artikel aus lokaler und regionaler Produktion.
Das Gebäude wurde mit energieeffizienten Anlagen ausgestattet, darunter eine Industrieflächenheizung für die Grundtemperierung bei niedrigen Vorlauftemperaturen sowie eine bedarfsgesteuerte Lüftungsanlage mit Wärmerückgewinnung. Die gesamte Haustechnik wird über eine zentrale Gebäudeautomation überwacht und gesteuert. Für die Kühlung kommen ausschließlich natürliche Kältemittel zum Einsatz. Durch den weitgehenden Verzicht auf Abriss und Neubau konnten CO?-Emissionen signifikant reduziert werden.
Auch gestalterisch bleibt die ursprüngliche Nutzung als Schlachthof ablesbar. Die Innenarchitektur greift mit offen gelegten Deckenbalken, groben Wandoberflächen in der Weinabteilung und historischen Fliesenstrukturen Elemente des ursprünglichen Baus auf. Das feine Ringgewebe der abgehängten Decken verweist symbolisch auf die Arbeitskleidung der früheren Metzger. Der Grundriss – bestehend aus mehreren abgeschlossenen Bereichen – erforderte eine differenzierte Planung der Wegeführung, bei der unterschiedlich gemusterte Bodenbeläge zur Sortimentsgliederung und Orientierung eingesetzt wurden.
Im Marktcafé erinnern historische Fotografien an die Geschichte des Gebäudes. Gleichzeitig wurden moderne gestalterische Elemente wie das kupferfarbene Baldachin über der Backwarenabteilung und Corporate-Design-Farben in das Konzept integriert. Der Ladenbau wurde von Schweitzer Ladenbau in Zusammenarbeit mit Interstore umgesetzt. Die Projektentwicklung verantwortete Werner Projekt, die Lichtplanung lag bei Imoon.
Zur Ausstattung der Filiale gehören unter anderem eine lange Bedientheke mit Frischeangeboten, eine Sushi-Station, ein breites vegetarisch-veganes Sortiment sowie ein Bereich für Sofortverzehr. Bezahlt wird an drei klassischen Kassen oder fünf Self-Checkout-Terminals. Im Außenbereich stehen 42 Pkw-Stellplätze sowie Fahrradabstellplätze zur Verfügung.
Retail im Bestand: Studien zeigen Chancen und Herausforderungen
Zumeist sind es die Kaufhäuser in den Innenstädten, für die Nutzungskonzepte vorgelegt werden. Drei aktuelle Studien beleuchten unterschiedliche Aspekte der Entwicklung von Handelskonzepten – von der Wirtschaftlichkeit über städtebauliche Potenziale bis hin zu konkreten Umsetzungsstrategien.
Die PwC-Studie „Transformation der Innenstädte“ (2024) analysiert die finanziellen Rahmenbedingungen für die Umnutzung ehemaliger Einzelhandelsimmobilien. Mithilfe des Residualwertverfahrens wird deutlich: Mixed-Use-Konzepte mit Anteilen von Wohnen, Büro oder Gastronomie sind in zentralen Lagen wirtschaftlich tragfähig – vorausgesetzt, die Marktumfelder bieten ausreichend Nachfrage. Besonders in B-Standorten mit stabilem Preisniveau lassen sich neue Nutzungsmischungen effizient kalkulieren, während C-Standorte deutlich höhere Risiken aufweisen.
Einen stärker stadtentwicklungspolitischen Fokus wählt die im Auftrag des Bayerischen Wirtschaftsministeriums erstellte Studie zur Nachnutzung großflächiger Handelsbauten (2024). Sie betont die Notwendigkeit, Nachnutzungskonzepte nicht isoliert, sondern im Zusammenspiel mit den umliegenden Quartieren zu denken. Erfolgreiche Projekte zeichnen sich laut Studie durch eine frühzeitige Verzahnung mit kommunalen Entwicklungszielen aus – etwa durch Integration von Bildungseinrichtungen, sozialen Diensten oder kulturellen Angeboten.
Wie solche Ansätze in der Praxis umgesetzt werden können, zeigt eine eine von der Berlin Hyp bei bulwiengesa in Auftrag gegebene Kurzstudie (2025), die gelungene Umnutzungsprojekte in Klein- und Mittelstädten dokumentiert. Am Beispiel des ehemaligen Hertie-Kaufhauses in Lünen wird deutlich, dass kleinteilige Handels- und Dienstleistungskonzepte, gepaart mit baulich flexiblen Lösungen, entscheidend für eine langfristige Wiederbelebung sind. Statt auf großflächige Einzelhandelsnutzung zu setzen, empfiehlt die Studie modulare Strukturen, die auf wechselnde Bedarfe reagieren können – insbesondere im Bereich Nahversorgung, Gesundheitswirtschaft oder temporärer Nutzungen.
Auch der Einzelhandel im Bestand steht vor einer strukturellen Transformation, die neue wirtschaftliche, planerische und bauliche Ansätze erfordert. Erfolgreich sind jene Projekte, die sowohl das Gebäude als auch das Quartier in ihrer Entwicklung mitdenken – und Umnutzung nicht als Notlösung, sondern als strategische Chance begreifen.