Wohnungsbau-Tag 2023 zeigt Wege aus der Krise beim Neubau

Wohnungsbau-Tag 2023 zeigt Wege aus der Krise beim Neubau

Wohnungsbau-Tag 2023 zeigt Wege aus der Krise beim Neubau
Ihre Forderungen adressierten die Veranstalter des diesjährigen Wohnungsbau-Tages an Bundesbauministerin Klara Geywitz (3. v. l.) . Copyright: T. Seifert

Mit einer klaren Botschaft haben sich die Veranstalter des diesjährigen Wohnungsbau-Tages am 20. April an Bund und Länder gewandt: Angesichts der derzeitigen Krise müsse der Staat deutlich mehr in den Wohnungsbau investieren. Noch nie seit dem Zweiten Weltkrieg sei die Konstellation so dramatisch gewesen: Ein Bedarf von über 700.000 Wohnungen – Tendenz deutlich zunehmend – trifft auf hohe Baukosten, stark gestiegene Zinsen sowie Auflagen und Vorschriften für das Bauen, die noch nie so umfangreich waren wie heute.

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Die sieben im Verbändebündnis Wohnungsbau zusammengeschlossenen Organisationen und Verbände der deutschen Bau- und Immobilienwirtschaft fordern deshalb eine massive Aufstockung der Fördergelder. Ihren Appell an die Politik untersetzen sie mit konkreten Zahlen: Bis zum Ende dieser Legislaturperiode seien insgesamt mindestens 50 Milliarden Euro beziehungsweise pro Jahr 15 Milliarden Euro an Förderung notwendig, um das Neubauziel der Ampelkoalition von 100.000 Sozialwohnungen mit Mietpreisen zwischen 6,50 und 8,00 Euro pro Quadratmeter zu erreichen. Hinzu kämen weitere 22 Milliarden Euro respektive sieben bis acht Milliarden Euro jährlich, mit denen der Staat dem bezahlbaren Wohnungsbau unter die Arme greifen müsse. Damit ließen sich für 60.000 Wohnungen Kaltmieten zwischen 8,00 Euro und 12,50 Euro pro Quadratmeter realisieren.

ARGE-Studie unterlegt Kostensteigerung mit konkreten Zahlen 

Diese Einschätzung fußt auf einer aktuellen Studie des Kieler Wohnungs- und Bauforschungsinstituts ARGE mit dem Titel „Status und Prognose: So baut Deutschland – so wohnt Deutschland“, die auf dem Wohnungsbau-Tag der Öffentlichkeit vorgestellt wurde. Deren Ergebnisse fasst Professor Dietmar Walberg mit deutlichen Worten zusammen: „Wenn jetzt nichts passiert, gibt es beim Neubau von Wohnungen keine Talfahrt, sondern einen regelrechten Absturz.“ Noch sei der Wohnungsbau zwar gut aufgestellt, so dass die vorhandenen Kapazitäten ausreichten, um 400.000 Wohnungen pro Jahr neu zu errichten, so der ARGE-Studienleiter. Grundvoraussetzung sei jedoch, dass Bauen auch möglich ist – ohne lähmende Genehmigungsprozesse und ohne hemmende Vorschriften und Auflagen, stattdessen aber mit einer funktionierenden Finanzierung. Dies schließe eine angepasste staatliche Förderung ein.

Die ARGE-Studie nennt dazu konkrete Zahlen: So sorgen beispielsweise allein kommunale Auflagen dafür, dass sich der Quadratmeter Wohnfläche um gut 170 Euro verteuert. Weitere 400 Euro gehen auf das Konto des Bundes. Insgesamt drehe der Staat an zahlreichen Stellen an der Preisspirale, unter anderem im Schall- und Brandschutz oder bei Vorgaben für Stellplätze, Außenanlagen oder zum Material von Gebäudefassaden. Dies führt nach Angaben der Wissenschaftler zu aktuellen Baukosten für eine Mietwohnung in einer deutschen Großstadt von durchschnittlich 4.070 Euro pro Quadratmeter. Rechne man noch einen Quadratmeterpreis von im Schnitt 900 Euro für das Grundstück hinzu, betragen die Gesamtkosten knapp 5.000 Euro pro Quadratmeter.

Dies hätte im normalen Marktsegment einen Mietpreisansatz von 17,50 Euro bis knapp 20 Euro pro Quadratmeter zur Folge, was für den überwiegenden Teil der Mieter unerschwinglich, geschweige denn sozial verträglich sei. Hier müsse die Förderung ansetzen. Die ARGE-Experten rechnen mit einem erforderlichen Förder-/Subventionsbarwert von 2.375 bis 2.900 Euro pro Quadratmeter Wohnfläche im sozialen Wohnungsbau. Im Bereich des bezahlbaren Wohnraums liege dieser Wert zwischen 1.350 und 1.900 Euro pro Quadratmeter. Anders ausgedrückt: Bleiben die Baupreise auf dem aktuellen Niveau, müsste der Staat für jeden Quadratmeter neu gebauten Wohnraum die genannten Summen zur Verfügung stellen, um die Mieten sozial verträglich beziehungsweise wenigstens auf bezahlbarem Niveau zu halten.

Bauüberhang zu bezahlbaren Mieten an den Markt bringen

Das Verbändebündnis nahm außerdem die bundesweit 900.000 zwar genehmigten, aber noch nicht fertiggestellten Wohnungen in den Fokus. 40 Prozent von ihnen stünden bisher nur auf dem Papier, da es für sie noch keinen Baustart gibt. Der Grund: Sie sind unter den gegenwärtigen Rahmenbedingungen nicht finanzierbar. Die Verbandsvertreter schlagen vor, diese quasi auf der Kippe stehenden Projekte zu retten und für den bezahlbaren und sozialen Wohnungsbau zu gewinnen. Dazu solle der Staat zum einen ein Sonderprogramm zur „Wohnungsbau-Soforthilfe“ aus Zuschüssen und günstigen Krediten auflegen und zum anderen deutliche Abstriche bei den Auflagen vornehmen, wodurch das Bauen wieder kostengünstiger werde.

Gerade in den Metropolregionen, in denen der Mangel an bezahlbarem Wohnraum besonders eklatant sei, käme es darauf an, jeden Quadratmeter zu nutzen. Konkret fordert das Verbändebündnis Wohnungsbau, bei der Dachaufstockung sowie beim Umbau von Büro- und Gewerbeimmobilien zu bezahlbaren Wohnungen beziehungsweise Sozialwohnungen endlich voranzukommen. Auch hier müsse der Staat entschlossen Geld in die Hand nehmen, Genehmigungsprozesse erleichtern sowie Hemmnisse in Gesetzen und Verordnungen beseitigen.

Die Pressekonferenz zum Wohnungsbautag 2023. Links im Bild Dietmar Walberg. Copyright: T. Seifert
Die Pressekonferenz zum Wohnungsbau-Tag 2023. Links im Bild: Dietmar Walberg vom ARGE-Institut. Copyright: T. Seifert

Vorhandene Kapazitäten am Bau unbedingt erhalten

920.000 Beschäftigte arbeiten zurzeit im Bauhauptgewerbe. Dieses Potenzial drohe verloren zu gehen, falls eine „Weiter-so-Politik“ zu einem Abbau von Baukapazitäten führt, warnten die Verbandsvertreter auf dem Wohnungsbau-Tag. Die Baubranche stehe vor einer Zäsur. Der Beschäftigungsabbau vollziehe sich rasant - auf dem Bau sechsmal schneller als der Personalaufbau, so ARGE-Institutsleiter Dietmar Walberg. „Geht der Bau jetzt in die Knie, würde es Jahrzehnte dauern, bei er wieder auf die Beine kommt und ein Niveau erreicht, das er heute mit Mühen aufgebaut hat“, prognostiziert der Wissenschaftler und warnt vor weiteren volkswirtschaftlichen Effekten eines Beschäftigungseinbruchs auf dem Bau: „Der Wohnungsbau ist ein starker Motor der Binnenkonjunktur – vor allem in der Krise. An der gesamten Wertschöpfungskette Wohnungsbau hängen über drei Millionen Arbeitsplätze.“

Wohnungsbau am Kipppunkt: Forderungen an die Politik

Auftragseingang, Baugenehmigungen, Baufertigstellungen, Finanzierungsvolumen – diese wesentlichen Wohnungsbau-Kennzahlen sind im zurückliegenden halben Jahr innerhalb kürzester Zeit so stark eingebrochen wie seit Jahrzehnten nicht. Private und institutionelle Investoren stoppen ihre Vorhaben; jedes bereits genehmigte Projekt wird neu kalkuliert. Statt der im Koalitionsvertrag vorgesehenen 400.000 Wohnungen pro Jahr droht ein Rückgang auf 250.000 Wohnungen im Jahr 2023, der sich in Richtung 2024 auf nur noch 200.000 Fertigstellungen weiter beschleunigen könnte. Zugleich verzeichnete Deutschland mit 1,5 Millionen Menschen im Jahr 2022 die größte Zuwanderung der zurückliegenden Dekade. Bliebe Wohnraum weiterhin knapp und für große Teile der Bevölkerung zunehmend unerschwinglich, bestehe die Gefahr, dass es zu sozialen Verwerfungen komme.

Um in Bund, Ländern und Kommunen die Signale für den Bau kurzfristig wieder auf „Grün“ zu stellen und damit ein Abreißen der Bautätigkeit im Wohnungsbau zu verhindern, hat das Verbändebündnis Wohnungsbau die folgenden Handlungsempfehlungen an die Politik formuliert:

Ausreichende Förderung, insbesondere für soziales und bezahlbares Bauen und Wohnen

Die Ergebnisse der ARGE-Studie haben auch gezeigt: Energieeffizienzhaus-Standards von EEH 55 oder EEH 40 im Neubau und von deutlich unter EEH 115 für den Bestand ziehen finanzielle Belastungen für Investoren und Mieter nach sich, die bezahlbaren Wohnraum für mittlere Einkommensgruppen ohne ausreichende Förderung nicht mehr möglich macht. Auch angesichts des drastisch gestiegenen Zinsniveaus ist daher eine Förderung von bezahlbarem Mietwohnungsbau für Haushalte erforderlich, die zwar oberhalb des sozialen Wohnungsbaus liegen, für die aber frei finanzierter Wohnraum derzeit nicht erschwinglich ist.

Noch nicht begonnene, aber genehmigte Wohnungen sollen zu Sozial- oder mindestens bezahlbaren Wohnungen werden 

Beim aktuellen Bauüberhang sind etwa 30 Prozent der Wohnungen im Rohbau fertiggestellt, 30 Prozent befinden sich noch in diesem Stadium und 40 Prozent sind genehmigt und noch nicht begonnen. Um letztgenannten Teil geht es: Durch attraktive Anreize, finanzielle Zuschüsse, beispielsweise für nötige Umplanungen, günstige Kredite und reduzierte Auflagen, können diese freifinanzierten und mit Marktmieten geplanten Projekte in geförderte bezahlbare Wohnungen oder Sozialwohnungen überführt werden. Dadurch könnten alle Beteiligten profitieren, was gerade angesichts einer einbrechenden Baukonjunktur Signalwirkung hätte.

Beim Neubau auch die Potenziale im Bestand nutzen

Neben der bedarfsgerechten Vergabe von kostengünstigem Bauland gehe es auch darum, vorhandene Potenziale im Bestand zu nutzen. Aufstockungen und Dachausbauten müssen daher ebenso gefördert werden wie die Nachverdichtung im Quartier und die Umwandlung von Büro- oder Gewerbeimmobilien in bezahlbaren Wohnraum. Modellrechnungen zeigen, dass allein eine Erhöhung der baulichen Dichte in Ballungszentren, beispielsweise durch die Anhebung der Geschossflächenzahl von 1,0 auf 2,0, Mietpreissenkungen von 20 Prozent und mehr pro Quadratmeter ermöglichen kann. Außerdem trägt diese Maßnahme auch zu einer Reduzierung des Flächenverbrauchs bei.

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