Zinsen: "Weiterer Weg wird kein Spaziergang"

Zinsen: "Weiterer Weg wird kein Spaziergang"

Zinsen: "Weiterer Weg wird kein Spaziergang"
Quelle: kalhh / Pixabay

Der Rat der Europäischen Zentralbank (EZB) hat die Zinsen gesenkt. IMMOBILIEN AKTUELL hat Statements dazu zusammengestellt. Er hat den Einlagensatz wie erwartet um 25 Basispunkte auf 3,5 Prozent gesenkt. Der Hauptrefinanzierungssatz wurde  um 60 Basispunkte auf 3,65 Prozent gesenkt.

IMMOBILÉROS - Der Podcast für die Immobilienbranche

Marcel Fratzscher, Ökonom, Politikberater, Professor für Makroökonomie an der Humboldt-Universität zu Berlin und Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung

Die Zinssenkung der EZB ist richtig, kommt jedoch zu spät und ist zu zögerlich. Die Wirtschaft in der Eurozone ist schwach und produziert deutlich unter ihrem Potenzial. Dies gilt insbesondere für Deutschland, wo die Wirtschaft zur Zeit stagniert und rund zwei Prozent unter ihrem Potenzial produziert. Der Kurswechsel in der Geldpolitik hätte nicht erst im Juni, sondern schon Anfang des Jahres beginnen sollen, denn Geldpolitik braucht eineinhalb bis zwei Jahre, um ihre volle Wirkung zu entfalten. Daher sind die Zinssenkungen der EZB zwar richtig, sie werden jedoch ihre volle Wirkung erst im zweiten Halbjahr 2025 entfalten. Auch daher wäre es klug, wenn die EZB bei jedem ihrer nächsten Zinsentscheide die Zinsen senken würde.

Klara Geywitz, Bundesministerin für Wohnen, Stadtentwicklung und Bauwesen

Günstige Finanzierungen am Kreditmarkt sind enorm wichtig für den Wohnungsbau. Die Senkung des EZB-Leitzinses wird der Baubranche einen neuen Schub geben. Zusammen mit diesen besseren Finanzierungsbedingungen, unseren Förderprogrammen, dem starken sozialen Wohnungsbau und den Steuersenkungen für den frei finanzierten und gemeinnützigen Wohnungsbau werden die richtigen Impulse für eine starke Bauwirtschaft gesetzt.

Jan Viebig, Chief Investment Officer der ODDO BHF SE

Die Rücknahme des maßgeblichen EZB-Leitzinssatzes um 0,25 Prozentpunkte war an den Finanzmärkten weitgehend erwartet worden, auch in dieser Höhe. Sie sollte nicht als Signal einer übermäßigen Lockerung der EZB-Geldpolitik verstanden werden. Durch geldpolitische Mittel allein lassen sich die wirtschaftlichen Probleme im Euroraum nicht beheben. Die Wirtschaft in Europa leidet zunehmend an einer strukturellen Wachstumsschwäche. Niedrige Investitionen, eine schwache Kapitalbildung, hohe Energiekosten, eine übermäßige Regulierung und eine nachlassende internationale Wettbewerbsfähigkeit machen eine Verbesserung der politischen Rahmenbedingungen notwendig. Die Inflation ist noch nicht endgültig besiegt. Vor allem im Dienstleistungssektor sind die Preissteigerungen nach wie vor zu hoch. Die Geldpolitik sollte deshalb weiterhin wachsam sein und die Leitzinsen nicht zu rasch weiter senken. Es kann nicht Aufgabe der Geldpolitik sein, die strukturellen Fehlentwicklungen in der europäischen Wirtschaftspolitik zu beheben. Eine geldpolitisch induzierte Konjunkturbelebung birgt das Risiko, die grundlegenden Probleme in der europäischen Wirtschaft zu überdecken, ohne sie zu lösen.

Johannes Mayr, Chefvolkswirt bei Eyb & Wallwitz

Eine erneute Senkung bereits im Oktober ist keinesfalls sicher. Darauf deuten auch die neuen Inflationsprognosen der Notenbank hin, wonach das Zwei-Prozent-Ziel erst im zweiten Halbjahr 2025 erreicht wird und die Inflation Richtung Jahrsende zunächst wieder ansteigen dürfte. Obwohl sie ihre Geldpolitik als restriktiv einschätzt, meidet die EZB also Vorfestlegungen und bleibt rein datenabhängig. Auch mit Blick auf Europa sollten Anleger deshalb nicht zu stark auf einzelne Zinsschritte oder einen raschen Rückgang in Richtung alter Tiefs wetten.

Francesco Fedele, CEO, BF.direkt AG

Die Zinssenkung kommt für uns wenig überraschend. Da die meisten Prognosen den Leitzins Ende 2024 wieder bei 3,5 Prozent sehen, liegt es nahe, noch von zwei weiteren Zinssenkungen von je 0,25 Prozent auszugehen. Aus unserer Sicht ist es allerdings noch zu früh für Zinssenkungen. Denn bei genauer Betrachtung ist die Inflationsentwicklung nicht ganz so positiv, wie die deutsche August-Inflationsrate von 1,9 Prozent vermuten lässt. Diese Entwicklung ist nur kurzfristig und auf die stark schwankenden Energiekosten zurückzuführen. Schon im September könnte die Inflation wieder über 2,0 Prozent liegen. Maßgeblich ist außerdem nicht die deutsche Inflationsrate, sondern die Kerninflationsrate im Euroraum, die noch immer deutlich über dem Zielwert der Notenbank liegt. Zwar wirkt eine Leitzinserhöhung in der Realwirtschaft nur mit einer Verzögerung von ein bis zwei Jahren, aber die Reaktion an den Kapitalmärkten erfolgt schnell. Die Zinssenkung der EZB könnte bewirken, dass der Markt wieder mehr Inflation erwartet, was wiederum eine Erhöhung der langfristigen Zinsen verursacht. Hingegen hat die Leitzinssenkung selbst keinen großen Einfluss auf die Zinsen von zehnjährigen Finanzierungen, die für den Immobilienmarkt entscheidend sind. Auch baut die EZB derzeit die langfristigen Anlagen vorsichtig ab, was tendenziell auch zu höheren Zinsen führt.

Patrick Brinker, Head of Real Estate Investment Management, Hauck Aufhäuser Lampe

Das aktuelle Zinsniveau ist gesund, damit können wir in der Immobilienbranche grundsätzlich wirtschaftlich arbeiten. Klar ist: Die alten Zinsniveaus sind Geschichte, auch wenn die EZB heute die Leitzinsen gesenkt hat und die USA dies auch tun werden. Die Erkenntnis hat sich auch auf den Immobilienmärkten durchgesetzt. Bei den Preisen haben wir mittlerweile die Bodenbildung erreicht. Daher ist jetzt der Zeitpunkt, an dem langfristig orientierte Investoren sich wieder konkret damit befassen, neue Investments zu tätigen und das Abwarten beenden. Family Offices und internationale Investoren sind hier schon einen Schritt weiter und tätigen erste Investments.

Prof. Dr. Felix Schindler, Head of Research & Strategy, HIH Invest

Die EZB lässt mit der erneuten Senkung des Einlagenzinssatzes um 25 Basispunkte den Erwartungen der Marktteilnehmer und ihrem eigenen Wording Taten folgen. Der weitere Weg wird aber kein Spaziergang – vor allem die Preisentwicklung im Dienstleistungssektor wird für die EZB und den mittel- bis langfristigen Inflationspfad in Richtung EZB-Ziel herausfordernd bleiben. An den Immobilienmärkten sorgt die Zinssenkung für einen positiven psychologischen Impuls und wird zur weiteren Marktstabilisierung beitragen, auch wenn sie – wie auch an den Kapitalmärkten – bereits eingepreist ist.

Peter Axmann, Leiter Immobilienkunden, Hamburg Commercial Bank

Die heutige Zinsentscheidung der EZB bestätigt die Erwartung der Marktexperten und ist im aktuellen Zinsniveau bereits eingepreist, so dass unmittelbar keine nennenswerte Änderung der Finanzierungskosten zu erwarten sind. Trotzdem ist die Zinssenkung eine gute Nachricht für die Immobilienbranche, weil Investoren jetzt sicherer sein können, dass der Zinspeak erstmal hinter uns liegt und Kaufpreise auf dieser Basis wieder seriöser kalkuliert werden können. Dies wird zu einem sukzessiven Anstieg der Transaktionsvolumina beitragen.

Patrick Zurfluh, Head of Real Estate Financing Loanboox

Die EZB möchte die Wirtschaft mit diesem moderaten Zinsschritt nach unten behutsam ankurbeln – ohne die Inflationssorgen weiter zu befeuern. Für die Immobilienwirtschaft ist diese Senkung ein kurzfristiger Stimulus. Niedrigere Zinsen bedeuten günstigere Finanzierungsmöglichkeiten, was die Nachfrage nach Immobilien und die Bautätigkeit beleben könnte. Gleichzeitig müssen Investoren jedoch die weiterhin hohe Volatilität der Märkte im Blick behalten und flexibel auf Zinsänderungen reagieren.