Ist die Nachverdichtung in Berlin eine fatale Fehlentwicklung?

Ist die Nachverdichtung in Berlin eine fatale Fehlentwicklung?

Ist die Nachverdichtung in Berlin eine fatale Fehlentwicklung?
Berlin schließt viele Bebauungslücken und versiegelt dabei Unmengen an Flächen. Das sorgt für Protest. Copyright: schwarzweisz auf Pixabay

In Berlin kämpfen Bürgerbündnisse gegen die Lückenbebauung in ihren Quartieren mit Häusern, Schulen und Kindergärten – und prangern eine fatale Fehlentwicklung an. Insbesondere im Ostteil der Stadt, wo nach Paragraph 34 BauGB gebaut werden darf. Sie fordern seit längerem einen Stopp der Nachverdichtung. Jetzt fand dazu eine Anhörung im Ausschuss für Stadtentwicklung, Bauen und Wohnen statt.

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Der Zielkonflikt ist klar: In Berlin wird Wohnraum gebraucht, also muss gebaut werden. Insbesondere die landeseigenen Wohnungsunternehmen verdichten deshalb ihre Wohnanlagen mit Neubauten. 20.000 Wohnungen pro Jahr müssen irgendwo hin. Grünstreifen, Parkplätze, Innenhöfe und Lücken werden deshalb für den Wohnungsbau aktiviert.

Überall in der Stadt wehren sich inzwischen Bürgerinitiativen gegen den Verlust an Freiraum und Grün. Bei der eigens zu diesem Thema angesetzten Anhörung im Ausschuss für Stadtentwicklung, Bauen und Wohnen erklärte Julian Schwarze (Bündnis 90/Grüne): „Alles zuzubauen sorgt vielleicht an der einen oder anderen Stelle für mehr Neubau, aber vielleicht auch für einen Verlust an Wohnraumqualität.“

Lückenschluss-Paragraph befeuert „Unheilvollen Trend zur Versiegelung“

Insbesondere im ehemaligen Ostberlin wird nachverdichtet, weil bis heute das Bauplanungsrecht unterschiedlich ausgeübt wird. Im Weststeil der Stadt gelten alte Bebauungspläne, im Ostteil der Stadt wird Paragraph 34 BauGB angewendet, der als Lückenschluss-Paragraph gilt. Es darf gebaut werden, wenn das Vorhaben sich in Art und Maß in die Umgebungsbebauung einfügt. Damit geht einher, dass die aufwändigen B-Plan- und Beteiligungsverfahren nicht nötig sind und ein Bauvorhaben sehr viel schneller realisiert werden kann.

Auch die landeseigenen Wohnungsunternehmen setzen auf diese Weise ihre Neubauprojekte um, inzwischen vielfach mit Typenbauten. Freya Beheschti, die das Berliner Bündnis Nachhaltige Stadtentwicklung (BBNS) vertrat, kritisierte: „Allgemein ist seit ein bis zwei Jahren ein unheilvoller Trend zur Versiegelung zu beobachten.“ Und das trotz des ausgerufenen Klimanotstandes in Berlin und trotz des Zieles der Netto-Null-Versiegelung bis 2030. „Wir beobachten eine fatale Fehlentwicklung in Berlin.“ Es sei kein Konzept erkennbar, mit dem der Bedarf an Wohnraum und die Anforderung an eine klimaresiliente Stadt zusammengedacht werden.

Berliner Senat verweist auf die Wohnungsnot und Wohnbedarfe

Christian Gäbler, Staatssekretär für Bauen und Wohnen in Berlin, machte dagegen die Position des Senates unmissverständlich klar. Die neue Bevölkerungsprognose für Berlin weist aus, dass bis 2040 die Zahl der Einwohner auf rund vier Millionen wachsen wird. Das ist ein Zuwachs von rund fünf Prozent, also rund 187.000 Menschen mehr, die irgendwo wohnen müssen. Die Hälfte dieses Zuwachses werde in den nächsten Jahren erwartet.

Hinzu kommen noch rund 90.000 Flüchtlinge aus der Ukraine in Berlin; auch aus den Jahren 2015 und 2016 leben noch Geflüchtete in Gemeinschaftsunterkünften. „Es besteht dringender Handlungsbedarf.“ Der Auftrag der landeseigenen Wohnungsunternehmen bestehe darin, zur Entlastung des Wohnungsmarktes beizutragen, indem sie preisgünstiges Wohnen auf landeseigenen Flächen realisieren. „Insofern wird der Senat diesen Auftrag nicht zurücknehmen.“ Überall Bebauungspläne vorzuschreiben, würde den Neubau erheblich verzögern. „Das können wir uns bei der Wohnungsnot in der Stadt nicht leisten.“

Senat fordert Bereitschaft der Bürgerschaft zu Nachverdichtung

Die Nachverdichtung im Bestand sei auch ein entscheidender Baustein einer nachhaltigen und integrierten Stadtentwicklung. „Die effiziente Nutzung der Siedlungsfläche durch Innenentwicklung berücksichtigt die Forderung nach Klimaschutz, auch durch die Vermeidung zusätzlicher Verkehre.“ Er forderte von den Bürgern Offenheit und die Bereitschaft, gemeinsame Lösungen zu finden.

Doch wie könnten diese Lösungen aussehen? Für Christian Gäbler besteht sie darin, eine hohe städtebauliche Nutzung und Qualität in den Quartieren umzusetzen. Ein Thema sei das „gesamtstädtische Kompensationsmanagement“ als gemeinsames Vorhaben der Stadtentwicklungs- und der Umweltverwaltung: Einzelprojekte sollen zukünftig umweltbezogene Zielstellungen aufnehmen müssen. Dazu gehören Minimierung der Eingriffe, vorrangig Ausgleichsmaßnahmen im Planungsgebiet, Entsieglung als Ausgleich, Aufforstung, Versiegelungsflächen dichter und höher zu bebauen.

Innenentwicklungskonzept als Lösung des Zielkonfliktes

Als ein neues Instrument zur Lösung des Zielkonfliktes schlägt Arno Bunzel vom Deutschen Institut für Urbanistik das Innenentwicklungskonzept vor. Das sei nicht verbindlich, sondern freiwillig, könne aber eine wichtige Grundlage sein. Es sei deutlich geworden, „dass wir kaum qualifizierte Aussagen machen können, welche Qualität vorhanden ist und welche wir anstreben wollen“. Mit einem Innenentwicklungskonzept ließen sich Defizite erkennen und aufzeigen, wo Nachverdichtung zu einer Qualitätsverbesserung genutzt werden könnte – und eine Verzahnung mit dem Thema Wärmeversorgung erfolgt.

Es ließen sich räumliche Schwerpunkte setzen und Gebiete identifizieren, in denen besondere Instrumente des Städtebaurechtes zum Einsatz kommen könnten, wie das Festlegen von Stadtumbaugebieten oder städtebaulichen Sanierungsmaßnahmen sowie Genehmigungsvorbehalte mittels Ergänzungssatzung nach Paragraph 171 Abs. d BauGB. „Man wird es nicht schaffen, das gesamte Stadtgebiet mit solchen Gebietskulissen zu übersäen, insofern ist es wichtig zu sehen, wo man Schwerpunkte bilden kann.“ Er verwies auf ein Instrument der Stadt Aachen. Sie hat Leitlinien der Innenentwicklung als Grundlage für Investoren beschlossen.

Nachverdichtung durch Aufstockung als großes Potenzial?

Ein Thema, das für die Abgeordneten auf der Hand liegt, ist die Aufstockung bestehender Gebäude und damit die Frage, warum das Potenzial nicht großangelegt genutzt werde. Arno Bunzel vom Deutschen Institut für Urbanistik betonte, dass sich der große Teil der Aufstockungspotenziale im privaten Eigentum befände und „es kein Zwangsmittel gibt, da tatsächlich ranzugehen“. Dachgeschossausbau und Aufstockung scheitern in vielen Fällen in den Innenstadtkiezen an den Kosten, an der Traufhöhe, den Vorgaben für den Brandschutz und dem Milieuschutz.

Aus Sicht von Kevin Hönicke, Bezirksstadtrat in Lichtenberg, sollte das Thema stärker in den Fokus genommen werden. Zwar stoße es oft auf Unmut der Bewohner, wie sich bei einem Projekt der landeseigenen HOWOGE zeigte. Die wolle trotzdem in Hohenschönhausen weiter aufstocken und 800 zusätzliche Wohnungen schaffen. Für die gleiche Anzahl konventioneller Neubauwohnungen wäre eine erhebliche Fläche zu versiegeln. „Im Fall einer Aufstockung mit 800 Wohnungen stellt sich die Frage, wie die soziale Infrastruktur zu schaffen ist. Wie gesagt, auch hier gibt es große Bedenken der Anwohnerinnen und Anwohner.“ Er verwies auf das Erstellen von Rahmenplänen für die Entwicklung von Stadteilen, also zu Wohnungsbau-, Kita- und Schulpotenzialen. „Sie bieten auch eine Möglichkeit zur frühzeitigen Beteiligung.“

In Berlin gibt es Leitlinien zur Bürgerbeteiligen in der Stadtentwicklung, die vier Stufen umfasst. Für deren Umsetzung stellte Freya Beheschti von der BBNS insbesondere den landeseigenen Wohnungsunternehmen eine schlechte Note aus. „Die Umsetzung erfolgt mangelhaft, es ist oft nur eine formale Beteiligung, weil die landeseigenen Unternehmen die Anwendung der Leitlinien zur Bürgerbeteiligung offenbar nur als Belastung ansehen.“ Die Realität zeige, dass Nachverdichtung in vielen Fällen nicht zur Verbesserung der Qualität im Quartier führe.

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