Nicolai Wendland: Mehr Mut bei der Digitalisierung der Immobilienbranche

Nicolai Wendland: Mehr Mut bei der Digitalisierung der Immobilienbranche

Nicolai Wendland: Mehr Mut bei der Digitalisierung der Immobilienbranche
Dr. Nicolai Wendland im EXPO-REAL-Stand seiner 21st Real Estate. Bildquelle: W&R IMMOCOM

Dr. Nicolai Wendland, Geschäftsführer der 21st Real Estate, digitalisiert Ankaufsprozesse und wünscht sich dazu aktuellere Zahlen und mehr Wow-Effekte.

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IMMOBILIEN AKTUELL: Das Innovationsbarometer der Immobilienwirtschaft der EBS Universität für Wirtschaft und Recht sagt: Es gibt ein Luxusproblem. Die Marktlage ist hervorragend, der Branche geht es gut, die Platzhirsche sind immer noch dieselben wie in den vergangenen Jahren, Standort und Netzwerke die entscheidenden Erfolgskriterien. Reicht diese Erklärung für die Zurückhaltung gegenüber der Digitalisierung?

Dr. Nicolai Wendland: Das ist sicherlich ein Aspekt. Ohne tatsächlichen Innovationsdruck, der meist aus einer Existenz bedrohenden Situation erwächst, brauchen Umwälzungen sehr lange. Dazu kommt, dass Start-ups nicht gleich die ganze Welt erobern können, auch wenn sie es wollen. Zuerst einmal müssen sie eine lauffähige Version produzieren, um möglichst schnell einen Proof of Concept zu haben und Investoren zu zeigen, dass es funktioniert. Einige der Konzepte setzen sich dann durch, andere nicht. Die, die es schaffen, entwickeln weiter, kaufen dazu, konsolidieren. Und erst dann tritt der große Wow-Effekt beim Kunden ein, nämlich wenn der „whole product approach“ gelingt und komplexe Prozessschritte ganzheitlich in nur einer Weboberfläche abbildbar sind. Momentan sind wir auf dem Weg von ganz kleinen Insel- hin zu umfassenderen Lösungen. Die Branche weiß, dass sie günstiger, schneller und innovativer arbeiten könnte. Es ist eben nur noch nicht absolut notwendig.

IMMOBILIEN AKTUELL: Welche Vorteile hat die von Ihnen initiierte Digitalisierung kompletter Ankaufsprozesse für institutionelle Ankäufer?

Dr. Nicolai Wendland: Der Prozess wird heute größtenteils analog abgebildet und von jedem Unternehmen etwas anders gelebt. Die Meilensteine ähneln sich: Ein Objekt kommt in Form eines Exposés rein und muss mit einer Anlagestrategie gematcht werden. Bei manchen Städten beispielsweise weiß man direkt: Kommt für mich nicht in Frage. Bei anderen setzt sich ein Prozess in Gang: Wie ist die Datenlage dort? Findet sich beispielsweise innerhalb einer attraktiven Stadt eine riskante Mikrolage? Oft müssen heterogene Portfolios geprüft werden. Hier bedarf es einer Lagebewertung, die wir zum Beispiel vollautomatisch erstellen können, da unser System die Anlagestrategie des Ankäufers kennt. Im zweiten Schritt erfolgt die Preis-, im dritten die Investitionsbewertung. Dabei spielt die Lagebewertung die größte Rolle.

Auf welcher Datengrundlage setzt die Arbeit der 21st Real Estate auf?

IMMOBILIEN AKTUELL: Wie sieht Ihre Datengrundlage aus?

Dr. Nicolai Wendland: Wir haben über ganz Deutschland ein Gitternetz gelegt. Insgesamt besteht das Netz aus 55 Millionen Kacheln, jede 100 x 100 m groß. Diese werden mit allen verfügbaren Daten bespielt, von der Grünfläche, Kaufkraft über Einwohnerstruktur und Kitas bis hin zu Wasserflächen und Restaurants. Insgesamt haben wir bisher 1,2 Milliarden Datenpunkte und über 60 Millionen Kauf- und Mietpreise gesammelt. Diese Kacheln sind miteinander vernetzt. Ich kann also für eine bestimmte Adresse sehen, was genau diesen Ort und seine Umgebung auszeichnet, dafür gibt es knapp 300 verschiedene Parameter. Daraus erstellt unsere KI Lageprofile, die mit Preisen gefüttert werden. Daraus wiederum entstehen die Bewertungen von Mieten, Preisen und Investitionsgüte.

IMMOBILIEN AKTUELL: Für die Metropolen finden sich überall Zahlen, wie sieht es aber mit dem ländlichen Raum aus?

Dr. Nicolai Wendland: Das ist schwieriger, aber nur hinsichtlich der Preise. Hinsichtlich der Lage verfügen wir über alle Informationen, die wir benötigen. Banken sprechen gern von Nichtorten, weil davon ausgegangen wird, dass keine Daten vorhanden sind. Das ist aber nicht korrekt: Der Ort hat 5.000 Einwohner, eine Autobahnzufahrt, eine Kita und ansonsten nur Wald. Das sind Informationen, wenn auch vielleicht nicht die, die ich gern hätte. Schwieriger wird es, die Preise mit dem klassischen Vergleichswertverfahren zu ermitteln. Wenn es kaum Verkäufe gibt, kann man dann wenig vergleichen. An dieser Stelle kommt das Machine Learning ins Spiel. Unser System kann auf Daten von allen Städten in Deutschland zugreifen. Also suchen unsere Algorithmen nicht nur den Vergleich mit dem Nachbardorf, sondern mit einer ähnlichen Region in Deutschland. Mit einer Autobahnzufahrt, einer Kita, viel Wald und 5.000 Einwohnern. Das macht der Rechner solange, bis er mit 95prozentiger Wahrscheinlichkeit sagen kann: Das sind die Preise, die dort erzielt werden könnten, das ist der zu erwartende Cashflow.

Der Faktor Mensch im Umfeld der Digitalisierung von Ankaufsprozessen

IMMOBILIEN AKTUELL: Wie viel Zeit und Geld spart das Prozedere?

Dr. Nicolai Wendland: Das kommt auf den konkreten Fall an. Wir haben als Test ein Kunden-Portfolio durchgerechnet, das bereits im Bestand war. Er stellte uns die Mieterlisten der über 700 Einheiten zur Verfügung. Von uns bearbeiteten zwei Leute etwa vier Stunden diese Listen, vereinheitlichten beispielsweise die Spalten. Auf Knopfdruck konnten wir dann eine komplette Analyse erstellen. Der Kunde hatte vor seiner Ankaufentscheidung zu dritt drei Wochen gebraucht. Er zeigte uns, dass es in seiner Indikation bei bestimmten Vororten weiße Flecken gab, zu denen er keine Zahlen hatte. Big- und Smartdata konnten diese Leerstellen füllen.

IMMOBILIEN AKTUELL: Welche Rolle spielt da noch der Faktor Mensch?

Dr. Nicolai Wendland: Eine wichtige! Das System ist immer nur so gut wie die Daten und Zahlen. Noch haben wir nicht alle Informationen zu einem Objekt. Hat es etwa Schimmel im Keller? Irgendwann wird das per Sensorik möglich sein, momentan noch nicht. Der Mensch geht also hin, schaut sich vor dem Kauf die Objekte an. Er ist als Kontrollorgan derzeit noch unerlässlich. Auch, wenn es um ein Bauchgefühl geht. Derzeit gibt es Gegenden, die einen Hype erleben. Weil eine Zeitung darüber geschrieben hat, weil zeitgleich ein Prominenter dahin zog oder ein paar Influencer die Gegend gut finden. Wir sprechen von Künstlicher Intelligenz, aber die Maschinen sind faktisch heute noch dumm; sie machen das, was wir sagen. Was durch die Rechner vermieden wird, sind Schusselfehler und aufwendige, repetitive Arbeiten und Recherchen.

IMMOBILIEN AKTUELL: Früher mussten Berge an Akten gesichtet werden: Was machen die Mitarbeiter, die das nun nicht mehr tun müssen?

Dr. Nicolai Wendland: Jemand, der tatsächlich nur dafür da ist, um Zahlen ein- und umzutragen, den wird es perspektivisch irgendwann nicht mehr geben. Da bleibt die Frage, ob dieser Mensch damit glücklich war, jeden Tag von früh bis spät nur Zahlen ein- und umzutragen. Einfache und repetitive Aufgaben fallen weg. Es wird die Kompetenz der Menschen gefordert und gefördert, auf Basis der Vorschläge der KI Entscheidungen zu treffen. Es werden aber immer mehr Mitarbeiter gebraucht, die die Vorschläge der Maschinen evaluieren. Dazu muss man sie befähigen, muss sie weiterbilden.

Digitalisierung der Immobilienbranche

IMMOBILIEN AKTUELL: An welcher Stelle steht die deutsche Immobilienbranche im internationalen Vergleich?

Dr. Nicolai Wendland: Wir sind recht langsam. Da muss man nicht um den heißen Brei herumreden. Das liegt ein Stück weit an dem fehlenden Innovationsdruck, aber auch an den alten Strukturen, wie gearbeitet wird. Das sieht man schon an den Daten, die die Bundesregierung herausgibt. An die Gutachterausschüsse werden Transaktionen gemeldet, die sehe ich aber erst zwei Jahre später. Viele Zahlen werden unter Verschluss gehalten oder ich muss nachweisen, dass ich berechtigtes Interesse an ihnen habe. Oder das Grundbuch: Das ist prinzipiell eine sehr gute Sache, denn es schafft Sicherheit. Es hindert uns aber daran per Knopfdruck eine Immobilientransaktion durchzuführen. In anderen Ländern wie Österreich oder Estland wurde das Grundbuch komplett digitalisiert, kann jederzeit abgerufen werden und beschleunigt damit Prozesse.

IMMOBILIEN AKTUELL: Hat diese Zurückhaltung etwas mit dem hohen Sicherheitsbedürfnis zu tun?

Dr. Nicolai Wendland: Ich denke ja. Von mir aus könnte alles digitalisiert werden und wenn es Nachbesserungen bedarf, wird das getan. Wir brauchen mehr Mut. Sich nicht mehr bewegen, weil man Angst hat hinzufallen, ist aus meiner Sicht keine Alternative. Je mehr Angst wir haben, desto weiter werden wir hinterherrennen.

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