Reint E. Gropp: Wie geht's weiter mit dem ländlichen Raum?

Reint E. Gropp: Wie geht's weiter mit dem ländlichen Raum?

Reint E. Gropp: Wie geht's weiter mit dem ländlichen Raum?
Foto: IWH

Reint E. Gropp, Präsident des Leibniz-Institutes für Wirtschaftsforschung Halle (IWH) und Professor für Volkswirtschaftslehre in Magdeburg, sorgte mit seinen Aussagen zum ländlichen Raum für viele Diskussionen. Wir baten ihn zum vertiefenden Interview.

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IMMOBILIEN AKTUELL: Sie werden für ein bisschen dumm erklärt, Politiker beschimpfen Sie. All das wegen Ihrer These, dass Ostdeutschlands Zukunft in Städten wie Halle (Saale) oder Leipzig liegt – aber eben nicht auf dem Land. Wie kommen Sie darauf?

Reint E. Gropp: Wir haben Trends, an denen wir mit lokaler Politik wenig ändern können. Die demografische Entwicklung in Deutschland ist allen bekannt. In den kommenden 15 Jahren scheiden etwa 300.000 Menschen netto pro Jahr, also etwa ein Prozent, aus dem Berufsleben aus. Das verändert gleichzeitig dramatisch die Altersstruktur der Bevölkerung. Besonders hart spürt das der Osten Deutschlands, wo wir pro Jahr von etwa zwei Prozent ausscheidenden Arbeitnehmern ausgehen. Verluste haben immer Implikationen für die Besiedlung des Landes.

Der zweite globale Trend ist die hohe Affinität der Menschen zur Stadt. Es ist mir wichtig, dass wir den Stadt-Begriff hier nicht zu eng fassen. Es geht um Metropolregionen, also um Städte wie Delitzsch, Merseburg, Oschatz, Eilenburg oder den Speckgürtel von Berlin. Speziell in diese Regionen ziehen gut ausgebildete, jüngere Menschen. Ein weiterer sehr wichtiger Punkt sind neue Arbeitsplätze. Diese entstehen disproportional im hochwertigen Dienstleistungsbereich, also in Forschung, Produktentwicklung, Beratung, und nicht in der Produktion. Die findet in China, Indonesien oder Malaysia statt. Diese neuen Jobs findet man in der Stadt. Dafür nehmen die Leute eine kleinere Wohnung in Kauf.

Möglichkeiten, Ostdeutschlands ländlichen Raum zu retten

IMMOBILIEN AKTUELL: Welche theoretischen Möglichkeiten gibt es, um diese Entwicklung aufzuhalten?

Reint E. Gropp: Es würde dafür nur drei Stellschrauben geben. Das eine ist die Geburtenrate. Um diese Verluste mittelfristig abzugleichen, müssten Frauen im Durchschnitt fünfeinhalb Kinder bekommen. Das ist natürlich völlig unrealistisch. Kurzfristig bewirkt eine Veränderung der Geburtenrate nichts, da alle, die in den nächsten 20 Jahren in den Arbeitsmarkt eintreten, schon geboren sind.

Die zweite Stellschraube ist Migration. Dazu gehören Menschen, die aus den anderen EU-Staaten kommen. Davon hat Deutschland stark profitiert, der Westen mehr als der Osten. Seit der Schuldenkrise 2010 war die Zuwanderung aus Südeuropa sehr hoch. Netto wanderten mehr als 100.000 Menschen zu, jetzt sind es rund 10.000. Fast alle davon gingen nach Westdeutschland, unter anderem, weil dort mehr ihrer Landsleute leben.

Ein wesentlicher Punkt ist aber, und hier könnte die Politik mehr tun, dass der Osten ein sehr schlechtes Image im In- und Ausland hat, was die Bereitschaft andere Kulturen zu integrieren angeht. Dazu gehören auch Flüchtlinge. 2015 kamen etwa eine Million Flüchtlinge nach Deutschland und proportional auch nach Ostdeutschland. Inzwischen ist davon die Hälfte im Arbeitsmarkt integriert. Und selbst wenn wir jedes Jahr eine solche Zuwanderung hätten wie 2015, würde es nicht reichen, den demografischen Wandel aufzuhalten. Die Zuwanderung von Menschen von außerhalb der EU ist eher gering und auch schwer zu beeinflussen. Zusammengefasst bedeutet das, dass in Ostdeutschland in zehn bis 15 Jahren sehr viel weniger Menschen leben werden. Das kann die Politik weder aufhalten noch verhindern. Gleichzeitig zieht es viele Menschen aus den unterschiedlichsten Gründen in die Stadt. Das Ergebnis: eine stark ausgedünnte ländliche Bevölkerung, besonders im Osten.

IMMOBILIEN AKTUELL: In den letzten Monaten wurden Sie massiv von Politik und Verbänden angegriffen, Schlagzeilen wie „Professor will ländlichen Raum sterben lassen“ rauschten durch den Pressewald.

Reint E. Gropp: Wir haben es insgesamt mit einer sehr komplexen Frage zu tun. Ich bin der letzte, der sagt, dass es einfach ist, auch wenn mir das von der Politik unterstellt wird. Es ist eine sehr komplizierte, kausale Kette von Elementen, die zu einem Ergebnis führt. Lässt man die Kette weg und nennt nur das Ergebnis, dann kommt eben dieser überspitzte Unsinn heraus, der in der Zeitung steht.

Was soll mit dem ländlichen Raum passieren?

IMMOBILIEN AKTUELL: Folgt man Ihrer Theorie: Was soll mit dem ländlichen Raum passieren? Mit den Häusern, den Unternehmen, Geisterdörfer reihen sich aneinander?

Reint E. Gropp: Es gibt einen Film, in dem ein Spinner auf dem Feld ein Baseballfeld baut. Später kommen Menschen dahin – Spieler und Zuschauer. Das ist aber in der Realität nicht so. Kein sehr gut ausgebildeter Mensch zieht in einen Ort, nur weil es dort eine Autobahnauffahrt gibt. Er zieht vielleicht in das Umfeld einer Stadt, aber nicht wirklich weit weg. Nun kann man sich lange darüber streiten, was Umland ist und was nicht. Fakt ist, dass die Menschen in Deutschland klare Vorstellungen von ihrer Anreise zum Arbeitsplatz haben: Alle 15 Minuten muss etwas fahren, und der Weg dahin sollte nicht länger als 30 Minuten dauern.

IMMOBILIEN AKTUELL: Welches Problem haben Sie mit der derzeitigen Förderpolitik?

Reint E. Gropp: Das Geld wird nicht dort eingesetzt, wo es benötigt wird. Es geht beispielsweise in irgendeine Autobahnauffahrt auf dem Land, aber keiner tut etwas gegen den Verkehrsstau in Berlin. Ein bisschen ist das so, als wolle man die Menschen bestrafen, weil sie in die Stadt ziehen.

IMMOBILIEN AKTUELL: Wie sieht Ihr Lösungsansatz aus?

Reint E. Gropp: Die Gemeinden außerhalb der Metropolregionen müssen daran arbeiten ihre Stärken zu präsentieren, die in unterschiedlichen Bereichen liegen können. Ich verstehe nicht, warum wir in der Diskussion immer die Defizite thematisieren. Es muss doch in erster Linie um die Vorteile der ländlichen Regionen gehen. Davon gibt es doch viele: bessere Luft, geringe Mieten, Ruhe, eine engere Gemeinschaft. Wenn Menschen diese Dinge wertschätzen, dann ziehen sie auf das Land.

Das Land nun aber kaputt zu machen, indem man beispielsweise Industrie ansiedelt, macht keinen Sinn. Für mich ist es entscheidend, von der Idee der gleichwertigen Lebensverhältnisse wegzukommen. Da mangelt es schon an einer genauen Definition. Die Stärken der einzelnen Gemeinden zu fördern, dagegen bin ich nicht. Ich bin dagegen, dass mit Macht versucht wird, Leuten einzureden, dass sie von Berlin in die Lausitz umsiedeln. Damit kann man nur Geld verschwenden, was dann aber eben zum Beispiel für die Infrastruktur in Berlin oder München fehlt.

IMMOBILIEN AKTUELL: Sind Eingemeindungen Teil einer Lösung?

Reint E. Gropp: Berlin hat sich sehr breit gemacht. Zu dieser Metropolregion gehören nun Gemeinden, an die vor zehn Jahren keiner dachte. Das zeigt, welche Strahlkraft die Städte haben. Ob Eingemeindungen sinnvoll sind, kann ich nicht sagen. Wichtig ist, dass die Städte zusammenarbeiten. Ein Negativ-Beispiel dafür sind Leipzig und Halle (Saale). Die stehen in Konkurrenz miteinander. Das macht keinen Sinn, eigentlich bilden beide Städte eine Stadt. Hier sollte es eine gemeinsame Strategie geben, an der auch das Umland beteiligt ist. Dort ist noch Platz, dort gibt es noch viel Grün, dort könnte für eine Entlastung des Wohnungsmarktes gesorgt werden.

Anstatt die ländliche Region zu retten, verschwenden wir Geld

IMMOBILIEN AKTUELL: Der Skeptiker würde Ihnen nun vorhalten, dass Sie ihm an das Grün wollen.

Reint E. Gropp: Ja, das kann sein. Aber was wollen wir denn nun eigentlich? Man muss einen Kompromiss finden. Es ist doch entscheidend, dass wir effizient Geld ausgeben. Können Sie mir erklären, woher die Zahl 40 Milliarden für den Braunkohleausstieg in der Lausitz kommt?

IMMOBILIEN AKTUELL: Nein.

Reint E. Gropp: Ich auch nicht. Das ist ein schlechtes Zeichen. Wir machen da politisch irgendetwas Populäres, das sich gut anhört. Wir tun so, als würden wir die ländliche Region retten, in Wahrheit verschwenden wir Geld, das man an anderer Stelle hätte sinnvoller ausgeben können, beispielsweise für die Förderung von Wohnraum in den urbanen Regionen. Ich bin kein Politiker, aber ich kann mir nicht vorstellen, dass es sinnvoll ist, Populismus mit Populismus zu bekämpfen. Ich bin Ökonom, sehe ganz Deutschland und nicht nur ein Bundesland und möchte verhindern, dass wir Steuergelder verschwenden. Steuergelder fallen nicht vom Himmel, sondern werden erarbeitet und daher haben wir die Verpflichtung, das Geld auch gezielt und effizient auszugeben.

Es ist wichtig, dass die Bevölkerung darüber aufgeklärt wird, dass viele Versprechen der Politik so überhaupt nicht umsetzbar sind. Eine Familie, die auf das Land zieht, und dort einen Autobahnanschluss erhält, ist eine ganz schön teure Familie für den Staat. Ich glaube nicht an den positiven Versuch der Umerziehung: Die Menschen wird es immer und in größeren Mengen in die Städte und Metropolregionen ziehen. Dort sind eben die neuen, nachhaltigen Jobs. Die Infrastruktur soll dort wachsen, wo bereits Menschen wohnen und nicht auf der grünen Wiese. Es ist aber nun mal eine Tatsache, dass in 15 Jahren in vielen ländlichen Regionen keiner mehr wohnen wird. Die Politik sagt, dass genau das verhindert werden kann. Das ist eine Utopie.

IMMOBILIEN AKTUELL: Gibt es Beispiele aus anderen Ländern, die zeigen, wie man mit dem ländlichen Raum umgehen kann?

Reint E. Gropp: Nein. Alle Länder kämpfen mit dieser Entwicklung – mal mehr, mal weniger stark. In Deutschland ist die Lobby der ländlichen Bevölkerung besonders stark, was auch mit der föderalen Struktur zu tun hat. Die Diskussion wird also hier sehr intensiv geführt. Hier hat jemand, der in einer Stadt im Stau steht, weniger Aufmerksamkeit als der Landbewohner, der nach 5G ruft.

IMMOBILIEN AKTUELL: Zum Schluss aber die entscheidende Frage: Stirbt der ländliche Raum?

Reint E. Gropp: Nein. Es gibt immer Menschen, die Präferenzen für das Landleben haben. Die wohnen da schon oder ziehen dahin, das machen die aber nicht von einer Autobahnauffahrt abhängig. Und sie wissen auch, dass sie dort nicht ein Freizeitangebot wie in Berlin haben. Der Staat muss da nichts tun. Ich habe keine Antwort darauf, warum das Leben auf dem Land kompensiert werden muss. Die Kompensierung gibt es doch schon durch Apfelbäume, große Wiesen, Ruhe.

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