Anne Katrin Bohle: „Halte nichts von einer Vergesellschaftung von Wohnungen“

Anne Katrin Bohle: „Halte nichts von einer Vergesellschaftung von Wohnungen“

Anne Katrin Bohle: „Halte nichts von einer Vergesellschaftung von Wohnungen“
Anne Katrin Bohle. Quelle: BMI

Die Bau-Staatssekretärin spricht im Interview über Quartiere, soziale Wohnraumförderung, Polarisierung, Enteignung und einen wichtigen Dreiklang.

Einladung zum Deep Dive Immobilienfinanzierung

IMMOBILIEN AKTUELL: Ist der zwanghafte Ruf nach gemischten Quartieren eine Illusion?

Anne Katrin Bohle: Nein. Unsere Kommunen und Quartiere in Ballungsräumen und in ländlichen Regionen sind Orte der Vielfalt, Lebendigkeit und Integration. Das waren sie schon in der Vergangenheit. Sie sind Orte des Ankommens, der Begegnung von Menschen unterschiedlichster Herkunft und sozialem Status, und damit auch der Mischung. Diese lebendigen, attraktiven Nachbarschaften sind wichtig für unsere Städte und Gemeinden, für die Gesellschaft, unser gutes Zusammenleben Tür an Tür, für die soziale Balance insgesamt. Die Vielfalt und Lebendigkeit unserer Kommunen leistet im Übrigen einen wichtigen Beitrag zu gesellschaftlichem Fortschritt und dem wirtschaftlichen Wachstum.

IMMOBILIEN AKTUELL: Eine große Problematik bleibt auf der Strecke: Zwischen Luxus und den geförderten Wohnungen besteht eine große Anzahl von Menschen, die weder das eine bekommen, noch sich das andere leisten können. Wie lautet Ihr Konzept für diese „Mittelschicht“?

Anne Katrin Bohle:Wohnen muss für alle Bevölkerungsschichten bezahlbar bleiben. Daher haben wir nicht nur die Bedingungen für die soziale Wohnraumförderung verbessert. Mit der Grundgesetzänderung haben wir erreicht, dass sich der Bund hier zukünftig dauerhaft engagieren kann. Zusätzlich haben wir auch den freifinanzierten Mietwohnungsbau gestärkt. Mit der Sonderabschreibung im Gesetz zur steuerlichen Förderung des Mietwohnungsneubaus schaffen wir einen erheblichen zusätzlichen Anreiz für den Wohnungsneubau – auch im bezahlbaren Mietsegment. Ich begrüße, dass der Bundesrat – nach gut einem halben Jahr Bedenkzeit – diesem wichtigen Vorhaben Ende Juni zugestimmt hat. Hier hat sich unsere Hartnäckigkeit ausgezahlt.

IMMOBILIEN AKTUELL: Jeder soll überall wohnen können, eine „Wohngleichheit“ ist angestrebt. Hebelt das nicht die prinzipiellen Gegebenheiten unserer Gesellschaft aus? Wäre eine solche Form der Gleichheit gerecht?

Anne Katrin Bohle: Gegenfrage: Ist es gerecht, wenn sich Menschen aufgrund ihres Einkommens, nicht mehr aussuchen können, wo sie wohnen können – andere aber schon? Nein, das ist nicht gerecht, und das wollen wir auch nicht. Die Entwicklungstendenzen der Segregation sehen wir in unseren Städten und Gemeinden. Wenn sich nur noch Wohlhabende die Stadt leisten können und andere verdrängt werden, schadet dies unserer Gesellschaft, unseren Kommunen insgesamt. Dieser Polarisierung wollen wir entgegentreten. Unsere Städte und Quartiere müssen allen Bevölkerungsgruppen zugänglich sein. Unser Ziel ist die Schaffung nachhaltiger städtebaulicher Strukturen, für starke, gut funktionierende und lebendige Städte und Gemeinden mit hoher Lebensqualität für alle. Dazu stellen wir in diesem Jahr erneut 790 Millionen Euro Städtebaufördermittel bereit, um lebendige Ortschaften, gesellschaftlichen Zusammenhalt zu fördern und so auch das Funktionieren der Städte insgesamt sicherzustellen.

Wohnraumoffensive stellt Weichen

IMMOBILIEN AKTUELL: „Bauen, bauen, bauen“ lautet die Grundweisheit gegen die derzeitigen Probleme. Auch wenn es alle wissen, es funktioniert nicht. Wie kann Abhilfe geschaffen werden?

Anne Katrin Bohle: Mit der Wohnraumoffensive haben wir auf dem Wohngipfel entscheidende Weichen gestellt und ein einmaliges Maßnahmenpaket geschnürt. Dieses umfasst neben investiven Impulsen für den Wohnungsneubau auch die Sicherung der Bezahlbarkeit sowie den Bereich der Baukostensenkung und der Fachkräftesicherung. Mit diesem Dreiklang setzen wir auf verschiedenen Ebenen an, um den Herausforderungen auf dem Wohnungsmarkt zu begegnen. Eines ist klar: Nur wenn alle Akteure auf den Wohnungsmärkten zusammenarbeiten, kann es gelingen. Viele dieser Maßnahmen sind bereits umgesetzt, andere sind in Vorbereitung. Die Erhöhung des Wohngeldes und die bereits in Kraft getretene Grundgesetzänderung, die es dem Bund dauerhaft ermöglicht, den Ländern Finanzhilfen für die soziale Wohnraumförderung zu gewähren, sind nur zwei Beispiele dafür.

IMMOBILIEN AKTUELL: Ein Vorhaben aus dem Wohnungsgipfel vor einem Jahr waren „Genehmigungserleichterungen für Wohnungsbauvorhaben im Bebauungsplangebiet“. Was ist in den vergangenen zwölf Monaten konkret zu diesem Thema passiert?

Anne Katrin Bohle: Im September 2018 wurde die Kommission „Nachhaltige Baulandmobilisierung und Bodenpolitik“ beim Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat eingerichtet. Aufbauend auf den Anfang Juli 2019 vorgelegten Ergebnissen der Baulandkommission wird sich die Bundesregierung einer Bauplanungsrechtsnovelle widmen. Auch hier gilt, dass die Empfehlungen, die sich an die weiteren Akteure, wie Länder, Kommunen und Bau- und Immobilienwirtschaft, richten, ebenso umgesetzt werden.

IMMOBILIEN AKTUELL: In Berlin fordert eine Gruppe die Enteignung großer Wohnungsunternehmen: Würde das, wie die Initiatoren behaupten, alle Probleme lösen?

Anne Katrin Bohle: Unabhängig von der rechtlichen Bewertung halte ich nichts von einer Vergesellschaftung von Wohnungen. Dies schafft keine einzige zusätzliche Wohnung, belastet die öffentlichen Haushalte unverhältnismäßig und zerstört das Vertrauen von Investoren, auf deren Engagement wir dringend angewiesen sind. Unsere Wohnungspolitik beruht vielmehr auf dem Konzept der sozialen Marktwirtschaft. Nach diesem Konzept ist es Aufgabe des Staates, gute und verlässliche Rahmenbedingungen für die Akteure auf den Wohnungs- und Bodenmärkten zu setzen. Das heißt, er muss Planungssicherheit für eine quantitativ und qualitativ hochwertige Wohnraumversorgung breiter Bevölkerungsschichten entsprechend ihrer eigenen Wünsche und Zahlungsbereitschaft schaffen. Zur sozialen Marktwirtschaft gehört aber selbstverständlich auch der soziale Ausgleich. Insbesondere muss der Staat mit geeigneten Instrumenten dafür sorgen, dass einkommensschwächere und sozial benachteiligte Haushalte angemessen wohnen können.

Staatlich festgesetzte Mietpreise sind keine Lösung.

IMMOBILIEN AKTUELL: Auch wenn es um Enteignungen und Macht der Unternehmen geht, am Ende wollen die Menschen fest gesetzte Mietpreise. Eine umsetzbare Sehnsucht?

Anne Katrin Bohle: Wohin staatliche Mietregulierung führt, haben die Erfahrungen mit den Wohnungsbeständen in der ehemaligen DDR gezeigt. Sie waren in einem schlechten Zustand, da Investitionen in notwendige Instandsetzungen aus den Mieten nicht erwirtschaftet werden konnten. Staatlich festgesetzte Mietpreise sind daher keine Lösung. Die sprunghafte Mietenwicklung, wie wir sie derzeit beobachten, signalisiert uns vielmehr, dass das Angebot an Wohnungen nicht ausreicht. Die Verfügbarkeit ausreichenden und bezahlbaren Wohnraumes ist daher der Hebel, an dem wir ansetzen müssen. Hieran arbeiten wir mit Hochdruck.

IMMOBILIEN AKTUELL: Das Narrativ hat sich gewandelt, die Branche ist zu einem renditehungrigen Monster geworden. Welche Kommunikationsfehler gab es aus Ihrer Sicht, und wie kann das Image wieder aufpoliert werden?

Anne Katrin Bohle: Ich denke Schwarz-Weiß-Malerei hilft uns nicht weiter. Ich habe die Branche stets als konstruktiven und kritischen Partner wahrgenommen. Die zahlreichen Bündnisse auf Bundes-, Landes- und Kommunal- ebene haben doch in den letzten Jahren das Gegenteil bewiesen und zu mehr Verständnis zwischen Politik und „der Branche“ geführt. Diesen Gesprächsfaden werde ich aufrechterhalten.

IMMOBILIEN AKTUELL: Grundstückspreise schießen nach oben, der Bundesanstalt für Immobilienaufgaben (BImA) kommt eine große Rolle hinsichtlich der Vergabe zu. Wie zufrieden sind Sie mit dem Agieren?

Anne Katrin Bohle: Die BImA trägt mit ihren Aktivitäten zur Verbesserung der Baulandbereitstellung bei. Mit dem Haushaltsgesetz 2018 wurde der bisher geltende Haushaltsvermerk zur verbilligten Abgabe von BImA- Liegenschaften deutlich ausgeweitet und die Verbilligungsrichtlinie entsprechend angepasst. Damit können Länder und Kommunen auf alle entbehrlichen BImA-Liegenschaften zugreifen und diese auch an private Dritte für Zwecke des sozialen Wohnungsbaus weiterveräußern. Die verbilligte Abgabe von BImA-Liegenschaften für Zwecke des sozialen Wohnungsbaus wird dadurch spürbar erleichtert. Die BImA bietet den Kommunen geeignete Grundstücke aktiv zum Erwerb an und treibt so die verbilligten Verkäufe für den sozialen Wohnungsbau aktiv voran. Eine gute Nachricht: Die Anzahl der Verkaufsfälle für diesen Zweck ist seitdem spürbar gestiegen.

IMMOBILIEN AKTUELL: Welche Rolle spielen in Ihren Überlegungen Erbpacht oder die Verdichtung beispielsweise auf Dächern von Supermärkten?

Anne Katrin Bohle:Aus meiner Sicht sind beides wichtige Zukunftsthemen. Zum einen das Kon
zept der Erbpacht. Wir wollen dies stärker als ergänzendes Instrument zur Bereitstellung von bezahlbarem Bauland nutzen und dessen Bekanntheitsgrad erhöhen. Langfristig können Grundstücke gesichert und der Nutzen für alle erhöht werden. Das Thema Verdichtung entspricht dem Vorrang der Innen- vor Außenentwicklung und wird im Rahmen der Baugesetzbuchnovelle eine wichtige Rolle spielen. Verdichtung auf Dächern von Supermärkten bietet dabei zahlreiche Potenziale gerade in bereits dicht besiedelten Großstädten und Ballungszentren. Hierzu hat es im Übrigen schon zahlreiche Gespräche mit verschiedenen Marktakteuren und dem BMI gegeben.

IMMOBILIEN AKTUELL: Birgt es nicht eine Gefahr in sich, wenn alle hauptsächlich über Wohnen sprechen? In den A-Städten gibt es kaum noch Büros, viele entsprechen nicht mehr den Standards.

Anne Katrin Bohle:Gemäß der Charta von Leipzig ist die nutzungsgemischte, europäische Stadt der kurzen Wege das Leitziel unserer Stadt- entwicklung. Dazu gehört die Mischung aus Wohnen und Arbeiten selbstverständlich dazu. Das Bauministerium sieht beide Aspekte im direkten Zusammenhang. Mit dem „Urbanen Gebiet“ haben wir unlängst eine Gebietskategorie eingeführt, die es Kommunen ermöglicht, beide Aspekte wieder enger miteinander zu verbinden.

Politik für gleichwertige Lebensverhältnisse

IMMOBILIEN AKTUELL: In großen Städten gehen die Menschen gegen hohe Mieten auf die Straße, in kleinen Städten wünschen sich die verbliebenen Einwohner, dass auf der Straße mehr los wäre. Infrastrukturausbau ist in aller Munde, so richtig geht die Entwicklung nicht voran. Welches Ziel verfolgen Sie hier?

Anne Katrin Bohle: Politik für gleichwertige Lebensverhältnisse in Deutschland ist ein Schwerpunkt des Handelns der Bundesregierung. In allen Regionen Deutschlands sollen die Menschen die Chance haben, ihr Leben nach ihren Vorstellungen zu gestalten – und zwar an dem Ort, an dem sie leben möchten. Dazu gehören vor allem Arbeitsplätze, die Perspektiven bieten, ausreichender und bezahlbarer Wohnraum, zeitgemäße Mobilitätsangebote, eine starke digitale und soziale Infrastruktur. Im Sommer 2018 wurde die Kommission Gleichwertige Lebensverhältnisse eingesetzt, um Handlungsempfehlungen mit Blick auf unterschiedliche regionale Entwicklun
gen und den demografischen Wandel in Deutschland zu erarbeiten. Mit den Vorschlägen sollen bis zum Ende der 19. Legislaturperiode und darüber hinaus effektive und sichtbare Schritte hin zu einer Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse erreicht werden.

IMMOBILIEN AKTUELL: In naher Zukunft stehen ein Sanierungs- und Investitionszyklus für viele Gebäude an. Kann der zu einer zusätzlichen Belastung werden?

Anne Katrin Bohle:Nicht, wenn man die notwendigen Sanierungsmaßnahmen ausreichend fördert und dadurch die Auswirkungen auf die Mieten sozialverträglich abfedert. Minister Horst Seehofer wird dazu dem Klimakabinett entsprechende Vorschläge unterbreiten. Dabei geht es auch um die Einführung einer steuerlichen Förderung für energetische Sanierungen.

IMMOBILIEN AKTUELL: Zum Abschluss noch eine Frage zur Zukunft: Inwiefern kann die Digitalisierung aus Ihrer Sicht einen Beitrag zur Effizienz der Branche und gegen den Fachkräftemangel helfen?

Anne Katrin Bohle: Zunächst einmal: Es ist ja nicht so, dass das Thema Digitalisierung für die Bauwirtschaft etwas völlig Neues ist. In Bereichen wie Unternehmensorganisation, Baustellenlogistik, RFID-Anwendungen, CloudComputing und anderen spielt das Thema schon seit Jahren eine wichtige Rolle. Und die Unternehmen wissen auch, dass der Einfluss der Digitalisierung künftig weiter zunehmen wird und beschäftigen sich intensiv mit dem Thema. Wie andere Branchen wird auch die Bauwirtschaft von der Digitalisierung profitieren. Digitale Prozesse bedeuten für die Wertschöpfungskette Bau eine Erhöhung der Effizienz und Transparenz und die Verminderung von Risiken. Wir rechnen insbesondere mit erhöhter Umsetzungs- und Terminsicherheit. Schon in der ersten Umsetzungsphase digitaler Methoden werden spürbare Produktivitätsgewinne erwartet. Die Bauwirtschaft wird sich mit der Digitalisierung weiter wandeln: Mit digitalen Prozessen wird es zum Beispiel zu einer besseren Abstimmung zwischen allen am Bau Beteiligten kommen. Und die Digitalisierung erlaubt neue datengetriebene Geschäftsmodelle, zum Beispiel auch die Nutzung von Plattformen. Diese Veränderungen werden die Attraktivität der Baubranche im Wettbewerb um Fachkräfte verbessern.  

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