Was macht ein Quartier zum guten Quartier?

Was macht ein Quartier zum guten Quartier?

Was macht ein Quartier zum guten Quartier?
Das neue Gartenfeld (links, Copyright: UTB) und DSTRCT Berlin (rechts, Copyright: HB Reavis) sind aktuelle Quartiersentwicklungen in Berlin.

Unter Quartier versteht jeder etwas anderes. Was es ausmacht und wie es zu einem lebendigen Kosmos wird, darüber diskutierten Experten auf dem Berliner Immobilienkongress 2022 von IMMOCOM. Zu den größten Quartier-Vorhaben gehört die Insel Gartenfeld. Nach mehr als zehn Jahren erhofft der Entwickler UTB zum Ende des Jahres endlich Baurecht.

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Der Begriff Quartier klingt gut. Er verspricht viel und wird derzeit inflationär benutzt. Jede Ansammlung von Häusern oder Bürogebäuden bekommt inzwischen das Etikett Quartier. Gemeint ist mit dem Begriff mehr als eine Bleibe oder ein Arbeitsort, sondern ein eigenständiger Stadtteil. Im besten Fall ein Viertel, in dem es alles gibt, was die Bewohner zum Leben und Arbeiten brauchen – in dem sie gern sind, sich also wohlfühlen. Doch was macht ein richtiges Quartier eigentlich aus? Auf dem Berliner Immobilienkongress 2022 stellten Projektentwickler ihre Vorhaben und Ideen für Quartiere vor. 

Kurze Wege, soziale Infrastruktur und gute Nahversorgung sind wesentliche Quartiersbausteine

Am Segelfliegerdamm in Adlershof entwickelt die BAUWERT neben einem Bürokomplex gemeinsam mit einem Partner auf einem 22.000 Quadratmeter großen Grundstück ein Wohnbauprojekt mit rund 1.800 Wohnungen. Das Projekt befindet sich derzeit im Baurechtsverfahren. Die Besonderheit formulierte der BAUWERT-Vorstand Dr. Jürgen Leibfried so: „Wir planen hier ein Fünf-Minuten-Quartier. Von der Kita bis zum Einkauf soll der Fußweg nur fünf Minuten betragen.“ Entsprechend seien die Infrastruktur und die Straßenführung geplant. Direkt am Quartier gibt es eine Haltestelle der Straßenbahn. Auch ein Mobilitätshub mit verschiedenen Sharing-Angeboten ist vorgesehen. Im besten Fall arbeiten die Bewohner in den nahegelegenen Bürogebäuden oder im Technologiepark Adlershof.

Dass kurze Wege, eine soziale Infrastruktur und eine gute Nahversorgung Bausteine eines Quartiers sind, darin sind sich die Experten einig. Arbeitswüste und Schlafstadt sind Modelle von gestern. Das Zauberwort heißt „gemischt“. Oliver Fuchs vom Büro-Entwickler HB Reavis betonte daher: „Unsere Kunden wollen keine Mengen an Quadratmetern in Arbeitswüsten. Sie wünschen sich einen attraktiven Standort, also auch Freizeit- und Einkaufsmöglichkeiten für ihre Mitarbeiter und die Nachbarschaft. Wir versuchen deshalb, Office in Quartiere zu integrieren.“ Das DSTRCT Berlin auf dem alten Schlachthofgelände an der Landsberger Allee ist dafür ein Beispiel. Gut angebunden an den ÖPNV, aber auch direkt im Wohnumfeld gelegen. Viele Mitarbeiter wohnen in der Nähe. Weniger Fahrerei ist Lebensqualität und ein Beitrag zur Nachhaltigkeit.

Dieses Podium diskutierte beim Berliner Immobilienkongress 2022 ausführlich über das Thema Quartiersentwicklungen in Berlin. Copyright: IMMOCOM
Dieses Podium diskutierte beim Berliner Immobilienkongress 2022 ausführlich über das Thema Quartiersentwicklungen in der Hauptstadt. Copyright: IMMOCOM

Quartiere als attraktiver Mix

Die Herangehensweise an einen attraktiven Mix und die Vernetzung an einem reinen Gewerbestandort erläuterte Rupprecht Rittweger, geschäftsführender Gesellschafter der Investa Holding. Das Unternehmen entwickelt derzeit den Marienpark in Mariendorf Auf dem 360.000 Quadratmeter großen Areal eines stillgelegten Gaswerkes mit denkmalgeschützter Bausubstanz siedelt das Unternehmen vielfältiges Gewerbe an. Ein Kristallisationspunkt sei eine Mikrobrauerei mit Lokal gewesen. Ein Rechenzentrum ist dazu gekommen. Mit dessen Abwärme lassen sich Büro- und Laborflächen beheizen, also ein Nahwärmenetz aufbauen.

„Es bietet sich zum Beispiel Vertical Farming an“, sagt Rupprecht Rittweger. Blumen- und Kräuterzüchter finden hier ausreichend Energie. „Wir wollen eine Zirkularität hinbekommen, Synergien schaffen und Nutzungen anbieten, die zum Rechenzentrum komplementär sind.“ Als Problem bei der gewünschten Nähe von Gewerbe und Wohnen erweisen sich jedoch immer wieder die Vorgaben für den Lärmschutz. Mit ähnlichen Quartier-Fragen befassen sich auch die Entwickler der WOHNKOMPANIE, die derzeit mit GoWest in Berlin-Schmargendorf einen großen Gewerbestandort projektieren. Deren Vertriebsleiter Alexander Boether hört von möglichen Kunden auch immer wieder, dass Wohnungen in Standortnähe gefragt sind. „Werkswohnungen sind inzwischen ein großes Thema.“

Wer bringt Leben ins Quartier?

Gebäude und gute Ideen sind Bausteine für ein Quartier, aber auch bestimmte Bewohnergruppen. Das machte Katharina von Ledersteger von International Campus deutlich. Ihr Unternehmen baut Studentenwohnungen. Sie plädierte dafür, bei einer Quartiersentwicklung von Anfang an auch Wohnungen für Studenten mitzudenken und zu planen. „Studenten werden als nervig und laut empfunden, aber in Wirklichkeit treiben sie die Innovation und das Wirtschaftswachstum und sie bringen Leben ins Quartier“, erklärte sie. Städte müssten grundsätzlich ein Interesse daran haben, die Studenten zu halten. Die Nachfrage sei hoch. „Wir können uns leisten, mehr Studentenwohnungen zu bauen.“

Am besten sind Quartiere, wenn sie nachbarschaftswirksam sind

Doch wie wird aus einem Marketingbegriff und verschiedenen Bausteinen am Ende ein Quartier, das den Namen auch verdient? Mit der 56 Hektar großen Insel Gartenfeld entwickelt UTB mit mehreren Partnern derzeit eines der größten Quartiere in Berlin. Der Anspruch ist hoch. Es soll ein Quartier mit 3.700 Wohnungen und Gewerbe entstehen: ein echtes Stück Stadt, hinter dem eine Haltung steckt, die später auch erlebbar wird. UTB-Chef Thomas Bestgen sagte: „Die große Herausforderung besteht darin, so zu bauen, dass nachbarschaftswirksame Quartiere entstehen.“

Die Partner des Gartenfeld-Projekts haben sich deshalb ein Manifest gegeben und notariell beurkunden lassen, das alle auf gemeinsame Ziele verpflichtet. 2,4 Milliarden Euro waren vor der Pandemie und dem Ukraine-Krieg dafür kalkuliert. „Und es ist unglaublich schwer an dem Vorhaben festzuhalten, in einer Stadt, in der sieben bis acht Jahre für einen Bebauungsplan gebraucht werden und es dann noch mal fünf bis zehn Jahre dauert, bis es an den Markt kommt.“ Das gehe nur mit starken Partnern, zu denen neben der UTB, der Projektentwickler BUWOG, die landeseigene Gewobag, Genossenschaften und Baugruppen gehören.

„Wir haben das Quartier bis zur Bewirtschaftung gedacht“, erklärte Thomas Bestgen. Und ein derartiges Manifest mit integriertem Planungsentwurf von der Infrastruktur bis zur Grünraumplanung sei schon deshalb nötig, weil jeder Partner eigene Interessen habe. Denn Bauträger müssen Gewinn machen. Das landeseigene Unternehmen muss 50 Prozent der Wohnungen für eine Sozialmiete ab 6,50 Euro anbieten. Auch Genossenschaften können keinen Wohnraum bauen, der dann 17 bis 18 Euro den Quadratmeter kostet. Das bedeute aber auch, dass die Benchmarks von vor sieben Jahren gehalten werden müssen, damit die Mischung der Bewohner nicht auf der Strecke bleibt.

Berlin ist kein leichtes Pflaster für Quartiersentwicklungen

So wurden Ausgleichsfaktoren bei den Grundstücken vereinbart. Die Kosten für die Dekontamination des Areals wurden von allen getragen. Die Ausschreibung des Stadtwerkes realisierte man gemeinsam, so dass Kälte und Wärme sowie der Mobilitäts-Hub und die Kiez-App aus einer Hand kommen. Derzeit wird über ein Gewerberaum-Pooling nachgedacht, damit sich die Partner bei der Suche nach Mietern nicht gegenseitig kannibalisieren und ein guter Mix entstehen kann. Rund 300 Millionen Euro seien für Planungen bereits ausgegeben worden, bevor Baurecht erteilt wurde.

Der Vorteil: Sobald es mit dem Bauen losgeht, braucht sich jeder Partner nur noch um sein Grundstück kümmern. Auf das Baurecht warten die Entwickler allerdings noch, weil es unter anderem jahrelange Diskussionen um die Anbindung der Insel an das Straßennetz und den öffentlichen Nahverkehr gab, um Brücken, Straßenbahn und die Siemensbahn. Thomas Bestgen sagte: „Die Kraft, Widerstände auszuhalten, ist inzwischen etwas erschöpft.“ Die Eskalation hat bis ins Rote Rathaus geführt: Nun sei Baurecht bis Ende des Jahres avisiert. „Mit der Infrastruktur übernehmen wir hoheitliche Aufgaben, was uns auch ein stückweit überfordert hat. Und das muss aufhören.“ Die Stadt müsse Infrastruktur bauen. „Dann können wir auch gut Wohnungsbau generieren.“

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